Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
noch keinen vergleichbar steilen Aufstieg gehabt. Wir haben jedoch alle Zeit der Welt und so hetzen wir uns nicht den Berg hinauf und kommen zwar leicht außer Atem, aber wohlauf irgendwann an dem Stück an, wo es ebener wird. Das Schwerste wäre geschafft und die Belohnung ist ein himmlischer Ausblick übers Land. Der Weg geht von nun an ohne weitere Steigungen stundenlang auf dem Gebirgsrücken entlang. Außer uns beiden ist weit und breit kein anderer Pilger zu sehen. Buju läuft wie immer außer Sichtweite vor uns her und Maja bleibt brav an unserer Seite, auch wenn sie jedes Mal versucht, mit Buju Schritt zu halten, wenn dieser mal wieder auftaucht. Das Risiko, uns aus den Augen zu verlieren, geht sie dann aber doch nicht ein. Auf dem Gebirgsrücken gibt es nahezu keinen Schatten und langsam wird es heißer und heißer. Die Sonne hat unterdessen alle Wolken und den Regen vom Himmel vertrieben und brütet wie gewohnt über allem, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Uns geht das Wasser aus und auch für unsere beiden Hunde haben wir keinen Tropfen mehr übrig. Verrückter Weise geben wir beide unser letztes Wasser lieber unseren Tieren, als dass wir es selber trinken. Lucia möchte dann eine Pause einlegen, aber ich dränge sie noch ein wenig weiter zu laufen, da ich wenige Kilometer entfernt Bäume zu sehen vermeine. Wir laufen knapp 30min weiter und tatsächlich, hinter der nächsten Anhöhe taucht ein riesiger Kastanienwald vor uns auf. Wir legen uns in den Schatten und schlafen sofort ein.
Einige Stunden später reißt Buju uns mit einem furchterregenden Gebell aus dem Schlaf. Vor ihm mit erhobenen Händen steht Juan, der Spanier aus Puente la Reina, welcher mit seiner Freundin in Österreich gelebt hat. Wir können es beide gar nicht glauben, einander hier wieder zu begegnen. Durch meinen Gewaltmarsch in den letzten Wochen habe ich jede Bekanntschaft hinter mir gelassen und durch Maja bin ich wieder so langsam geworden, dass mich alle bereits getroffenen Personen nun nach und nach wieder einholen. Buju hält Juan immer noch durch seinen furchterregenden Auftritt fest, bis wir Juan zurufen, er könne sich frei bewegen, Buju werde ihm nichts tun. Langsam nimmt er seine Arme runter und redet Buju ängstlich zu. Übersetzt so viel wie: „braves Hündchen, sei schön lieb, ja?“ Er gesellt sich zu uns und die Freude ist wirklich groß. Ich stelle ihm Lucia und Maja vor und er kann gar nicht glauben, dass ich nun einen Hund mit mir führe. Leider muss er schon bald weiter, da er heute noch ein gutes Stück bewältigen muss, um rechtzeitig in Santiago zu sein, wo er mit seiner Freundin verabredet ist. Wir sagen uns „Lebe wohl“, diesmal richtig, denn noch mal werden wir uns bestimmt nicht über den Weg laufen. Da Lucia und ich nun wach sind, nachdem wir mehrere Stunden geschlafen haben, rappeln wir uns auf, um unseren Weg ins Unbekannte fortzusetzen.
Wir laufen noch ein kleines Stück weiter und stoßen dann auf ein wirklich häßliches kleines Dörfchen, umgeben von Schnellstraße und Autobahn namens Trabadelo. Wir halten an, um eine weitere Pause zu machen und kommen ins Gespräch mit dem ansässigen Hospitalero, der uns gerne heute in seiner Herberge hätte. Sein Name ist Alexandro, etwa Mitte 40 und guter Laune. Durch sein Germanistikstudium spricht er fließend Deutsch und so erzählt er uns beiden abwechselnd auf Spanisch und Deutsch alles Mögliche über den Jakobsweg. Wir reden über die Pilger und den Unterschied zu den Möchtegernpilgern, die eher Touristen sind, den Weg nicht oder nur Stückchenweise laufen, überwiegend in Hotels nächtigen und ihr Gepäck per Auto von Ort zu Ort schicken lassen. Alexandro hat für diese Peregrinos (span. pl. für Pilger) den passenden Ausdruck und tauft sie Touregrinos. Seine Lebensgeschichte und jetzige Lebenseinstellung erzählt er uns dann einige Stunden später, als wir ihn fragen, wie er dazu gekommen ist, hier als Hospitalero seine Zeit zu verbringen. Er berichtet uns, dass er verheiratet war und eine Tochter hatte. Vor zwei Jahren sind seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen und sein Leben schien jeden Sinn verloren zu haben. Er pilgerte daraufhin nach Rom, Jerusalem und auch nach Santiago, um Antworten zu finden. Trotz dieses tragischen Unfalles versucht er, sein Leben glücklich weiter zu leben. „Ich kann entweder jeden Tag über das trauern, was ich verloren
Weitere Kostenlose Bücher