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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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anderen wieder freigelassen.« Er lachte erneut und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Sie mussten mich jedenfalls laufen lassen.«
    »Wann war das?«
    »Ich bin vor ein paar Wochen entlassen worden.«
    In nur ein paar Wochen war er aus einer Gefängniszelle in ihr Bett gekrochen?
    »Als ich nach Hause kam, wohnte in meiner Wohnung ausgerechnet ein Haufen Schwule, und meine Frau und mein Sohn hatten sich in Luft aufgelöst.«
    »Wie hast du herausgefunden, wohin sie gegangen sind?«
    »Nun, in diesem Punkt hat sich unsere kleine Freundin Gracie als überaus hilfsbereit erwiesen.«
    »Sie hat dir erzählt, dass Beth in Ohio ist?«
    »Ich hab ihr keine große Wahl gelassen.«
    »Ich bin sicher, sie hat Beth angerufen, um sie zu warnen …« Jamie hörte, was sie sagte, und hielt inne, als ihr bewusst wurde, wie lächerlich ihre Worte waren. Grace Hastings hatte niemanden gewarnt. Dazu hatte sie keine Gelegenheit mehr gehabt.
    Er lächelte, als würde er ihre Gedanken lesen. »Jetzt bin ich dran«, sagte er.

    »Was?«
    »Jetzt bin ich dran mit Fragen. Wie in Das Schweigen der Lämmer. Du erinnerst dich doch an Das Schweigen der Lämmer, oder Jamie?
    Toller Film. Wirklich toller Film«, sagte er noch einmal, wie um seiner eigenen Beurteilung zuzustimmen. »Findest du nicht?«
    »Glaub schon.«
    »Was soll das, glaub schon? Das Schweigen der Lämmer war ein toller Film, da gibt es gar nichts.«
    »Es ist schon eine Weile her, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.«
    »Na, dann leihen wir ihn mal aus, wenn alles erledigt ist.«
    »Wenn was erledigt ist?«
    »Nach unserem kleinen Besuch in der Mad River Road.«
    Jamie begriff nickend. »Du willst sie umbringen, oder?«
    »Das ist der Plan«, erwiderte Brad leichthin.
    »Und wie passe ich in deinen Plan?«
    Brad erhob sich von dem Stuhl, setzte sich neben Jamie aufs Bett und strich ihr über die Wange. »Du? Du bist doch mein Mädchen, Jamie. Du stehst an meiner Seite.«
    Was soll das heißen, fragte Jamie sich. Was wollte er ihr sagen? »Erwartest du, dass ich dir dabei helfe, deine Frau zu ermorden?«
    »Ich erwarte, dass du mir hilfst«, sagte er. »So wie ich dir in Atlanta geholfen habe.«

26
     
     
    Emma lag auf dem Bett und starrte an die gegenüberliegende Wand, wo ihre Kindheit über den nackten weißen Putz flimmerte wie ein altmodischer Super-8-Film. Sie sah sich als kleines drei- oder vierjähriges Mädchen mit rosigen Pausbacken, das hoch in die Luft geschleudert wurde, bevor ihr Vater sie mit ausgestreckten Armen sicher auffing und über seine breite Schulter warf wie einen Sack Getreide. So rannte er kreuz und quer durch den riesigen Garten mit ihr, begleitet von ihrem glücklichen Quieken. Aus dem Hintergrund hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die ihren Vater ermahnte, langsamer zu laufen, vorsichtig zu sein und aufzupassen. »Nein«, protestierte das Kind, während das dröhnende Lachen des Vaters die Luft erfüllte. »Schneller! Schneller!«
    Als Nächstes sah sie sich in ihrem Bett liegen und dem Streit ihrer Eltern im Nebenzimmer lauschen. Das Kind zog die hellrosa Decke über den Kopf, um die zornigen Stimmen zum Verstummen zu bringen, und als sie den Kopf wieder herausstreckte, war sie ein paar Jahre älter, die Pausbacken waren verschwunden, und eine neue misstrauische Zurückhaltung lag in ihren großen blauen Augen. Sie hörte die wütenden Schreie ihrer Mutter, dann ein lautes Klirren und Poltern, sodass sie aus dem Bett sprang, weil sie Angst hatte, dass das Haus über ihrem Kopf zusammenbrach. Was es natürlich auch tat, wenngleich nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Emma beobachtete, wie die jüngere Ausgabe ihrer selbst zum Schlafzimmer ihrer Eltern rannte, die Tür aufstieß und nur kurz einen zerschlagenen
Spiegel und einen umgefallenen Stuhl sah, bevor ihr Vater mit schweißnassem Haar, das in dunklen Strähnen in seine dunklen wütenden Augen fiel, auf sie zustürzte und sie zurück ins Bett trug. »Was ist los? Was ist los?«, fragte sie ihn immer wieder.
    »Alles ist gut«, versicherte er ihr. »Schlaf schnell wieder ein, mein Schatz. Alles wird gut.«
    Aber am nächsten Tag war er verschwunden, und nichts wurde je wieder gut.
    Blinzelnd betrachtete Emma, wie das kleine traurige Mädchen zu einem schüchternen Kind von neun oder zehn herangewachsen war, das einen Gummiball gegen eine Betonwand hinter einem sechsstöckigen Wohnblock in einem vorwiegend grauen Teil der Stadt warf, in dem sie und ihre Mutter jetzt lebten.

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