Traeume Suess, Mein Maedchen
ihre Schwester sagen.
Jamie fragte sich, was Cynthia gerade machte und ob ihr eigenes seltsames Benehmen am Telefon sie veranlasst hatte, der Sache weiter nachzugehen. Aber was sollte sie tun? Wie sollte ihre Schwester ahnen, wo sie anfangen musste zu suchen?
»Sie hat mir meinen Sohn weggenommen«, sagte Brad. »Das hätte sie nie tun dürfen.«
»Erzähl mir von ihr«, sagte Jamie. »Erzähl mir von eurer Ehe.«
Brad gähnte, als ob ihn die Geschichte nur beiläufig interessierte. »Die übliche Junge-trifft-Mädchen-Geschichte. Wir haben uns kennen gelernt, uns ineinander verliebt und haben ein Baby bekommen. Am Anfang lief alles gut, obwohl ihre Familie mich nie akzeptiert hat. Ich war wohl nicht gut genug für ihr kostbares kleines Mädchen. Sie hat ihnen immer wieder versichert, dass ich ein ›Rohdiamant‹ wäre, aber das haben sie ihr nicht abgekauft. Und mit ihren Freunden war es das Gleiche. Anfangs waren sie noch ganz freundlich, wahrscheinlich weil sie gehofft haben, dass ich mich in Luft auflösen würde, wenn man mich lange genug wie Luft behandelt.« Er schmunzelte über sein eigenes Wortspiel. »Aber ich habe sie alle verarscht. Ich bin nirgendwo hingegangen. Und da sind die ausgeflippt. Die sind abgegangen wie eine Rakete.« Seine Stimme verlor sich, als würde er einer entfernten Erinnerung nachhängen.
»Aber warum haben sie dich so gehasst?«
»Das musst du mir sagen. Ich kann doch ziemlich charmant sein, oder?«
»Mich hast du mit deinem Charme jedenfalls bezirzt«, gab sie zu.
»Na ja.« Er zuckte die Achseln. »Was kann man machen?«
»Was hast du gemacht?«, fragte sie.
»Nichts.«
»Hast du sie geschlagen, Brad?«
»Was?«
»Haben sie dich deshalb gehasst?«
Brads Miene wurde säuerlich. »Menschen streiten«, sagte er.
»Hat sie sich deswegen von dir scheiden lassen?«
»Wer sagt, dass wir geschieden sind?«
»Bist du nicht?«
Er richtete sich auf, und die Muskeln unter seinem schwarzen Hemd spannten sich sichtbar. »Ihrer Meinung nach schon.«
»Und was ist mit dir?«
»Nur weil sie mir einen Brief von einem bescheuerten Anwalt schickt, in dem steht, dass sie die Scheidung einreicht, heißt das noch längst nicht, dass ich damit einverstanden bin.« Er stand auf und ging zur Tür.
Wohin wollte er? War es möglich, dass er die Tür öffnen, hinausgehen und sie allein zurücklassen würde?
Aber wenn das seine Absicht gewesen war, überlegte er es sich anders, als er die Tür erreicht hatte. Er drehte sich um und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand. »Entspann dich, Jamie-Girl«, sagte er, ihren Gesichtsausdruck völlig falsch deutend. »Ich bin ein freier Mann.«
Jamie nickte und gab sich alle Mühe, erleichtert auszusehen. »Sie hat dir per Anwalt einen Brief geschickt?«
»Erst hat sie mich einsperren lassen, und dann hat sie die Scheidung eingereicht.«
»Du warst im Gefängnis?« Jamie hielt den Atem an.
»Fast ein Jahr.«
»Weil du sie geschlagen hast?«
Brad schüttelte müde den Kopf, als wäre er es leid, ständig
missverstanden zu werden. »Ich habe sie nicht geschlagen.« Immer noch kopfschüttelnd entfernte er sich wieder von der Tür. »Warum sagst du so etwas?«
»Ich wollte nicht …«
»Frauen, Scheiße. Ihr haltet immer zusammen, was?« Er schüttelte den Kopf. »Für einen Streit braucht man immer zwei, Jamie. Und sie war bestimmt keine unschuldige Zuschauerin. Sie war kein Sandsack, der nur herumgehangen und darauf gewartet hat, geschlagen zu werden. Die Frau hatte ein Mundwerk, kann ich dir sagen. Wenn sie erst einmal loslegte, konnte man nichts sagen, was sie wieder zum Schweigen gebracht hätte. Manchmal wollte ich nur, dass sie einfach still ist. Weißt du, wie das ist? Wenn man nur ein bisschen Ruhe und Frieden will, und dein verdammtes Kind schreit die ganze Zeit, und deine Frau macht dich wegen irgendwas an, was du zu einer ihrer blöden Freundinnen gesagt hast …«
»Sie hat dir keine Wahl gelassen«, sagte Jamie.
»Sie hat nicht einfach bloß dagestanden. Sie hat selbst auch ganz gut ausgeteilt. Ich bin genauso misshandelt worden wie sie«, sagte Brad voller Überzeugung.
»Das muss schrecklich für dich gewesen sein.« Welch Glück für die andere Frau, dachte Jamie und betete um die Gelegenheit, die Kraft und den Mut, es ihm ebenso heimzuzahlen.
»Na ja, man begegnet sich immer ein zweites Mal.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass ich sehr gut darin bin, den richtigen Augenblick abzuwarten.«
Jamie
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