Traeume Suess, Mein Maedchen
nichts.
Lily ließ sich langsam auf der Kante des braunen Sofas nieder, und ihr Blick fiel auf eine kleine Messingschale, die achtlos auf dem mittleren Polster lag. »Du hast sie also gestohlen!«, rief sie und fuhr zu Emma herum. »Ich glaube es nicht. Wie konntest du das tun?«
»Es tut mir so Leid«, sagte Emma mit Tränen in den Augen.
»Ich verstehe das nicht. Warum hast du …?« Ihr Blick zuckte von Emma zu Jamie. »Was geht hier vor?«
Jamie hielt den Atem an. Sie spürte einen leichten Luftzug, als Brad aus seinem Versteck im Esszimmer trat. Er legte einen Finger auf seine Lippen, um ihr anzudeuten, dass sie still sein sollte. Konnte sie Lily irgendwie warnen? Gab es irgendeine Möglichkeit, das, was in Atlanta geschehen war, zumindest ein bisschen wieder gutzumachen?
»Okay, ich bin hier offensichtlich in irgendwas reingeplatzt«, sagte Lily. »Und weil ich sowieso gleich wieder auf der Arbeit sein muss« - als sie aufstand, duckte Brad sich wieder in sein Versteck -, »bringe ich Jan gleich die Schale zurück, und wir können später reden.«
Weder Emma noch Jamie rührten sich.
Lily ging bis zur Wohnzimmertür, zögerte und blieb stehen.
Geh weiter, versuchte Jamie sie mit Blicken zu warnen. Lauf. Lauf, so schnell du kannst.
Lauf um dein Leben.
»Also, irgendwas stimmt doch hier nicht«, sagte Lily, ohne zu ahnen, dass Brad sich von hinten anschlich und nur noch Zentimeter von ihrem Rücken entfernt war.
Ich muss irgendwas tun, dachte Jamie panisch. Sie musste sie warnen. Sie konnte nicht einfach dasitzen und zusehen, wie er einen weiteren Menschen kaltblütig ermordete. So wie er Laura Dennison ermordet hatte. Und den Haushaltsgerätevertreter aus Philadelphia. Und weiß Gott wen noch.
»Wohin denn so eilig, Lily-Beth?«, fragte er.
Jamie sah, wie alle Farbe aus Lilys Gesicht wich. Sie begriff, dass Lily sich nicht umdrehen musste, um zu sehen, dass Brad lächelte. Sie beobachtete, wie Lily die Augen schloss, als würde sie ihr trauriges Schicksal akzeptieren. Vielleicht hatte sie immer gewusst, dass er sie eines Tages finden würde. Vielleicht war sie erleichtert, dass der Tag endlich gekommen war.
Und dann fuhr Lily unvermittelt herum, schlug Brad die Messingschale an den Kopf und nutze die momentane Verwirrung, um zur Haustür zu stürzen. Jamie versuchte, ihr zu folgen, aber ihre Beine verweigerten den Dienst. Hilflos sah sie zu, wie Brad aus einer frischen Kopfwunde blutend die Arme um Lilys Brustkorb schlang wie ein tödlicher Python, ihr die Luft aus der Lunge presste, sie hochhob und sie, ohne ihr Zappeln und Würgen zu beachten, vor Jamies Füße auf den Boden warf.
»Okay, Emma-Girl«, wies er die junge Frau auf dem Stuhl neben sich an, »du kommst hier rüber zu mir, während Jamie Beth die Hände hinter dem Rücken fesselt. Und die Füße auch«, sagte er, packte den Arm der auf ihn zutaumelnden Emma und drückte ihr sein Messer an die Kehle. »Ich steche sie ab wie ein Schwein, wenn du nicht genau das machst, was ich dir sage«, warnte er Jamie.
Emmas Gesichtsfarbe wechselte von blass zu aschfahl, und ein kleiner Schrei drang über ihre Lippen. Lily rührte sich nicht, als Jamie die Kordel unter den weißen Stapeltischen hervorzog, und wehrte sich auch nicht, als Jamie ihr die Hände hinter dem Rücken fesselte, während sie Emmas
Wimmern lauschte, an deren Halsschlagader die Klinge des Messers tanzte.
»Achte darauf, dass es schön fest ist«, warnte Brad.
Nachdem Jamie Lilys Handgelenke hinter ihrem Rücken gefesselt hatte, wandte sie sich den Füßen zu. Konnte sie das wirklich machen? Konnte sie eine weitere Frau hilflos seiner Gewalt ausliefern, so wie sie ihm ausgeliefert war? Vor zwei Tagen hatte sie im Wagen gewartet, während Brad eine wehrlose alte Frau ermordet hatte. Mittlerweile war sie zu einer ausgewachsenen Komplizin geworden. Und es spielte keine Rolle, dass sie im Grunde keine Wahl hatte, dass er sie töten würde, wenn sie nicht gehorchte. Wahrscheinlich würde er sie sowieso töten. Wenn nicht heute, dann morgen. Oder übermorgen.
Und man hatte immer eine Wahl.
Außerdem sind wir zu dritt, überlegte sie. Drei gegen einen. Aber selbst mit diesem Vorteil würde es ein ungleicher Kampf werden. Drei geschlagene und verängstigte Frauen konnten es nicht mit einem Messer schwingenden Wahnsinnigen aufnehmen.
»Ihre Füße kannst du auch fesseln.« Brad stieß Emma neben Lily zu Boden. Weil ihre Hände gefesselt waren, konnte sie sich nicht abfangen,
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