Traeume Suess, Mein Maedchen
alle sagten, er wäre … was hat deine Mutter immer über dich gesagt?«
»Unverbesserlich?«
»Genau. Obwohl ich lieber sagen würde, ein ›freier Geist‹. Genau wie du.« Er strich ihr über die Nasenspitze.
Jamie spürte, wie sie zerschmolz. Sie war nicht unverbesserlich, sie war ein freier Geist.
»Dieser Junge meinte jedenfalls, ich hätte sein Leben umgedreht und dass er ohne mich …« Brad starrte abwesend auf den Bildschirm. »Als Abschiedsgeschenk hat er mir das Messer gegeben. Er sagte, dass er es nicht mehr brauchen würde und dass ich es immer bei mir tragen sollte - als Glücksbringer.«
Jamie schüttelte den Kopf. Der Mann steckte voller Überraschungen. »Na, es war jedenfalls ein Glück, dass wir es heute dabeihatten.«
»Manchmal muss man sich schützen«, sagte er. »Und die Menschen, die man liebt.«
Jamie hielt die Luft an. Hatte er gerade gesagt, dass er sie liebte? »Noch nie hat ein Mann mich so beschützt wie du«, flüsterte sie, kuschelte sich an ihn und dankte dem lieben Gott, dass er diesen Mann in ihr Leben geführt hatte. Eine verwandte Seele, die in ihr Innerstes schauen konnte und verstand, wer sie wirklich war. Ein Mann, der auf sie aufpasste, sie beschützte und sich um sie kümmerte. Sie hätte heute Abend vergewaltigt werden können, wurde ihr bewusst. Oder Schlimmeres. Sie schloss die Augen und dachte lieber nicht an all die Dinge, die hätten passieren können, wenn Brad sie nicht gerettet hätte. Ich habe so ein Glück, dachte sie seufzend, bevor sie einschlief.
10
»Hi. Komm rein«, sagte Lily, nahm Emmas Hand und schob sie ins Haus.
»Ich kann nicht lange bleiben«, sagte Emma und dachte, dass sie gar nicht hätte herkommen sollen. Sie musste verrückt gewesen sein, Dylan alleine zu lassen, und sei es nur für ein paar Minuten.
»Ich hatte schon Angst, du hättest es dir anders überlegt.«
Ich bin nur gekommen, um zu sagen, dass ich nicht bleiben kann. »Ich musste sichergehen, dass Dylan fest eingeschlafen war«, sagte sie stattdessen und ließ sich von Lily ins Wohnzimmer führen. Ihr Haus war so fröhlich, dachte Emma, bewunderte die blassrosa Tapete mit einem sich endlos wiederholenden Muster aus winzigen Blumen und fragte sich, was sie gekostet hatte. Ich sollte auch irgendwas mit meinem Flur machen, dachte sie.
Das Wohnzimmer war in einem dunkleren Rosa gestrichen als der Flur, und das Mobiliar sah zwar nicht neu, aber freundlich und bequem aus. Zumindest wirkten die Frauen, die jeweils zu zweit auf den mitten in dem kleinen Zimmer stehenden geblümten Sofas saßen, als hätten sie es behaglich, genau wie die Amazone mit der Leopardenmuster-Hose und der wilden Mähne, die im Schneidersitz auf dem beigefarbenen Teppich vor dem Kamin hockte. Emma fragte sich, wie irgendjemand so biegsam sein konnte. Und ob der Kamin wirklich funktionierte. Außerdem fragte sie sich, was sie hier bei diesen Frauen machte, wenn sie eigentlich zu Hause bei ihrem Sohn sein sollte.
»Meine Damen, das ist Emma Frost«, sagte Lily und führte sie in die Mitte des Zimmers. »Wenn sie euch bekannt vorkommt, liegt das daran, dass ihre Augen vor ein paar Jahren auf jeder Schachtel Maybelline-Mascara waren.«
»Du bist Model?«, fragte eine der Frauen.
»Jetzt nicht mehr.«
»Ich benutze Maybelline-Mascara«, meldete sich irgendjemand zu Wort. »Das ist die beste.«
»Na, da hast du doch bestimmt einen Haufen Geld verdient. Was machst du dann in der Mad River Road?«, wollte die Leoparden-Lady auf dem Fußboden wissen.
»Das ist eine lange Geschichte«, erklärte Emma ihr.
»Wir sind ein Lesezirkel«, sagte die Frau. »Wir lieben Geschichten.«
Die anderen Frauen lachten.
»Du hast aber wirklich schöne Augen«, schmeichelte ihr irgendjemand.
»Darf ich dir deine Nachbarinnen vorstellen«, fuhr Lily stolz fort. »Emma, das ist Cecily Wahlberg. Sie wohnt in dem lilafarbenen Haus.«
»Nr. 123«, spezifizierte Cecily, als gäbe es mehrere lilafarbene Häuser in der Straße. Sie schlug ein schlankes Bein über das andere und strich sich mit knochigen Fingern durch ihren blonden Pagenkopf.
»… Anne Steffoff …«
»Nummer 115«, sagte Anne mit einem tiefen Bariton, der gut zu ihrem eckigen Kurzhaarschnitt passte. »Ich wollte es knallrot streichen.«
»Das habe ich verhindert«, sagte die Frau neben ihr. »Carole McGowan«, fügte sie mit einem kräftigen Händedruck und einem breiten Grinsen hinzu. »Annes Lebensabschnittsgefährtin.«
Emma kannte die drei
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