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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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auszudenken, eine Figur aus dem Nichts zu erschaffen und dann zuzusehen, wie diese Person Gestalt annahm und wuchs. Ja, sie würde Schriftstellerin werden, wie ihre Lehrerin es prophezeit hatte. »Ich werde Schriftstellerin«, hatte sie Kenny stolz erklärt, und eine Zeit lang schien auch er stolz zu sein. Aber dann wurde sie schwanger, womit sich ihre Schriftstellerkarriere mehr oder weniger erledigt hatte. Die Experten rieten einem immer, über das zu schreiben, was man kannte, aber was kannte sie schon groß, wenn
sie nicht mal zu verhindern wusste, sich ein Kind ansetzen zu lassen, wie Kenny es ihr in jener schicksalhaften verregneten Nacht brüllend an den Kopf geworfen hatte. »Es ist leichter, über das zu schreiben, was man nicht kennt«, sagte sie und stand vom Küchentisch auf. Mit dem, was sie nicht wusste, konnte man ganze Bände füllen.
    Obwohl Jeff sie offenbar interessant genug fand.
    »Er hat bloß sein Glück versucht«, sagte Lily und stieg langsam die Treppe hinauf. Und das hat er auch gehabt, dachte sie kichernd, weil sie ihn nicht mit zu sich nach Hause gebeten hatte.
    Warum eigentlich nicht?
    Es wäre so leicht gewesen. Die Gelegenheit war da. Sie hatte das Haus für sich allein. Wer weiß, wann sich das das nächste Mal ergeben würde? Und sie fand ihn attraktiv. Nein, mehr als attraktiv. Begehrenswert. Und es war ziemlich offensichtlich, dass er für sie das Gleiche empfand. Sie hatten ein wunderbares Essen genossen und waren dann zu dem neuen RiverScape Park gefahren, einer Touristenattraktion an der Stelle, wo die fünf Flüsse Daytons - Twin Creek, Wolf Creek, Great Miami, Stillwater und Mad - zusammentreffen, und waren auf einem der gut beleuchteten Wege spazieren gegangen.
    »Wusstest du, dass Dayton die Erfinderhauptstadt der USA ist?«, fragte Jeff und wies auf die zahlreichen goldenen Sterne, die zu Ehren dieser Erfinder in den Betonboden eingelassen waren.
    »Wirklich? Was für Erfinder denn?«
    »Nun, in Dayton haben die Gebrüder Wright, die in der South Williams Street eine Druckerei und eine Fahrradwerkstatt hatten, ihr berühmtes Flugzeug konstruiert und gebaut.«
    »Stimmt. Das habe ich mal irgendwo gelesen. Was sonst noch?«
    »Nun, wahrscheinlich wusstest du nicht, dass die Rohrpost,
Fallschirme, Trittleitern, Zellophan, Eiswürfeltabletts, Parkuhren, Registrierkassen, Filmprojektoren, Gasmasken sowie eine Vielzahl anderer unverzichtbarer Alltagsgegenstände ebenfalls in Dayton erfunden wurden«, zählte er auf, ohne Atem zu holen. »Nicht zu vergessen, Kartoffelchips mit Schokoglasur.«
    »Kartoffelchips mit Schokoglasur?«
    »Bei Kroger’s kann man sie kaufen.«
    »Nein danke, ich bin so satt, dass ich mir nicht mal vorstellen kann, Essen auch nur je wieder anzuschauen.« Sie gingen noch zehn Minuten weiter. Unterwegs blieben sie stehen und betrachteten eine Wetterfahne der Gebrüder Wright, eine puppenartige Gestalt aus Metall, die an einem Mast hing und seitwärts im Wind flatterte. »So fühle ich mich meistens auch«, gestand Lily.
    »Dann solltest du dich besser gut festhalten«, sagte Jeff und nahm ihre Hand.
    Seine Berührung war elektrisierend. Lily konnte sich gerade noch auf den Beinen halten, während sich ihre Hand in seine schmiegte und sie sich von ihm zum Wagen zurückführen ließ. Wie lange war es her, dass sie mit jemandem Händchen gehalten hatte, der nicht fünf Jahre alt war?
    »Warst du schon mal im Art Institute?«, fragte er, als sie an dem freundlichen Steingebäude mit dem roten Ziegeldach direkt nördlich der Ausfahrt 54 B vorbeifuhren, allem Anschein nach ohne eine Ahnung von dem Chaos, das er kurz zuvor in ihrem Körper ausgelöst hatte.
    »Nein, noch nicht«, brachte Lily stotternd hervor. »Ich wollte es Michael schon so lange zeigen.«
    »Dein Sohn mag Kunst?«
    Lily nickte stolz. »Er ist sehr talentiert.«
    »Ich würde ihn gern kennen lernen. Vielleicht machst du uns ja irgendwann mal miteinander bekannt.«
    Lily lächelte und schwieg. Für den Rest der Fahrt konzentrierte sie sich auf das Gefühl, das seine Finger auf ihrer
Haut hinterlassen hatten, und fragte sich, was sie tun würde, wenn er versuchte, ihr einen Gutenachtkuss zu geben.
    »Ich hatte einen wunderbaren Abend«, sagte er, als er sie bis zu ihrer Haustür begleitete.
    »Ich auch.« Sie war nervös wie ein junges Mädchen bei seiner ersten richtigen Verabredung.
    »Ich hoffe, wir können das irgendwann wiederholen.«
    »Sehr gerne.« Sie kramte in ihrer Tasche nach dem

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