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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Situation nach. »Ich finde, du siehst tadellos aus«, sagte er schließlich in sachlichem Tonfall.»Vermutlich bin ich nicht der Typ, der Arbeit und Vergnügen vermischt.«
    »Lügner! Ich wette, du hast schon ein Dutzend Mal alles mit allem vermischt!«
    »Vielleicht nicht ganz ein Dutzend Mal.«
    Sie gab keine Antwort. Sie genoss die Dunkelheit geschlossener Augen, den leicht säuerlichen Geruch trockener Erde und die leichte Berührung des Fingers auf ihrem Arm. Schließlich sagte sie: »Du solltest tatsächlich ein Buch über Albert schreiben.«
    »Ach, auf einmal sollte ich das sogar?«
    »Keine Biografie. Eine Art Porträt. Über seine Theorien und seinen Charakter. Seine wichtigsten Leistungen. Du könntest herausstellen, was für ein feinfühliger, spiritueller Mensch er war. Ganz anders als du.« Und tonlos fügte sie hinzu: »Dann wirst du verstehen, was ich meine, wenn ich sage, mein Leben sei vorbei.«
    Paul tastete in seinen Jackentaschen nach den Zigaretten, fand sie, schüttelte das Feuerzeug aus der Schachtel. Die Zigarette schmeckte gut in der warmen Abendluft, mit all dem Leben um sie herum.
    »Also,« sagte er, »noch mal von vorne, mein Mädchen in Boston heißt Amy, okay? Amy Henderson, und sie ist ungefähr eins siebzig groß. Schlank, mittelblond, launisch. Sie singt in einer Band, die eine Art jazzigen Rock spielt und eine CD herausgebracht hat, die gut besprochen wurde und sich überhaupt nicht verkauft hat, und sie arbeitet halbtags bei der Regierung. Überzeugte Liberale. Starke Raucherin. Wohnt mit zwei anderen Mädchen in ihrem Alter zusammen. Junge Frauen im Aufbruch. Sagt, sie will keine Kinder, aber das wird sich mit Sicherheit ändern, falls und wenn sie mit einem Mann zusammenzieht. Vielleicht mit mir, vielleicht aber auch nicht.«
    Während er sprach, beobachtete Paul Helens Miene.
    »Weiter.«
    »Das ist alles, glaube ich.«
    »Du hast noch nicht erwähnt, was du an ihr magst.«
    Paul hatte eine Hand auf ihrem Arm und steckte mit der anderen gerade sein Feuerzeug wieder ein, deshalb sprach er mit der Zigarette zwischen den Lippen: »Sie ist unkompliziert. Hat strahlende Augen. Wir haben viel Spaß zusammen. Es klappt mühelos.«
    Helen runzelte die Stirn. »Aber so könnte es mit allen möglichen Sechsundzwanzigjährigen sein.«
    »Wo soll ich unterschreiben?«, sagte er lachend.
    »Und auf dieser Basis würdest du sie heiraten? Spaß, keine Mühe?«
    »Ich will ja nicht nächste Woche heiraten. Genau genommen habe ich sie seit ein paar Monaten nicht gesehen. Vielleicht hat sie längst jemand Neues gefunden, wenn ich zurückkomme.«
    »Aber warum überhaupt heiraten? Du hast gesagt, sie will keine Kinder. Ihr könnt doch auch ohne zu heiraten Spaß haben.«
    »Stimmt.« Paul überlegte. »Vermutlich weil die Ehe etwas ist, das ich noch nicht hingekriegt habe. Ich habe Kinder, die ich kaum sehe, weil meine Exfrauen neue Ehemänner haben, die Papa spielen wollen. Sie wollen vergessen, dass es mich gibt.« Er hielt einen Augenblick inne und fügte dann hinzu: »Eine Sache, die mich an Albert interessiert hat, mich bewogen hat, eine Biografie zu schreiben, war eure lange Ehe. Ich wollte darüber schreiben.«
    »Warum? Warum beeindruckt dich das so sehr? Deine Eltern waren bestimmt genauso lange zusammen, wenn nicht länger.«
    Er zog heftig an seiner Zigarette. »Meine Eltern stecken knöcheltief im Kleister der Konventionen. Nein, bis zu den Augen sogar. Sie verkörpern das Amerika der Mittelklasse. Dersoziale Druck hält sie zusammen: die Hypothek, der Golfklub, die Kirche; vor allem die Kirche. Du und Albert dagegen, ihr habt die Ehe mit eurer totalen Unabhängigkeit kombiniert. Ihr beide gegen den Rest der Welt, überall auf der Welt, draußen im Leben, eine Geschichte, die von jedem Hintergrund losgelöst ist und ohne jede Unterstützung auskommt. Davon träumt jeder, der heiratet, scheint mir. Und dieser Aspekt ist mir genauso wichtig bei meinem Buch wie Alberts Theorien. Besonders jetzt…« Paul zögerte und verfolgte mit den Augen seinen Finger, der die blaue Vene in ihrem Unterarm nachzog – »besonders jetzt, wo du mir erzählt hast, wie er gestorben ist.« Wieder hielt er kurz inne: »Das muss ein Akt der Liebe gewesen sein.«
    Helen schloss die Augen unter den schon geschlossenen Lidern. Wie war er auf diese Worte gekommen? Sie ließ sich in eine noch tiefere Dunkelheit sinken, die Dunkelheit ihres Schlafzimmers in dem Moment, als es beschlossen und vollzogen wurde, in

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