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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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hinzufallen.
    »Au!«
    »Mir ist gerade etwas eingefallen, etwas, das Kulwant über Charles und Camilla gesagt hat.«
    »Ach ja?«, fragte er. »Und was war das?«
    »Egal.«
    Sie hatte ihn verlassen, sie lief mit schnellen Schritten zwischen den Menschen hindurch, die im Gras saßen oder spielten. Bestürzt und irritiert folgte Paul ihr. Ihr Gang war verspielt, fiel ihm auf, wie an dem Abend, als sie sich betrunken hatte. Er folgte ihr ohne Eile und zündete sich noch eine Zigarette an. Als er kurz stehen blieb, um die Spitze an die Flamme zu halten, wurde ihm klar, dass er sich heute Abend in Indien sehr zu Hause fühlte. Er fühlte sich wohl. Er mochte die Straßenhändler und die Familien auf den Rollern, die Mischung aus Entspanntheit und Aufregung, den verbrannten Geruch.
    »Paul!«
    Sie war bei einem Mann mit einem Bauchladen stehen geblieben. Sie rief nach ihm.
    »Komm mal her!«
    Er musste um einen Jungen und ein Mädchen herumgehen, die aus Papier etwas aßen.
    Der Händler stand im Lichtkegel einer altmodischen Laterne. Sie bezahlte gerade, und als Paul ankam, versuchte derMann, eine lange Kette aus weißen Blüten über ihren Kopf zu stülpen.
    »Nein, nein, nein«, sagte sie lachend.
    Helen nahm die Blumen und drehte sich zu Paul um. Sie kam ihm unvermittelt nah, hob die Girlande und ließ sie über seinen Kopf fallen. Ehe er sich’s versah, drückte sie ihre blassen Lippen auf seine.
    Dann trat sie einen Schritt zurück.
    Paul nahm die Blumenkette in die Hand. Sie verzog forschend das Gesicht. Er spürte sofort, dass ihre Miene aufgesetzt war.
    »Ist das irgendein Ritual?«, erkundigte er sich.
    »Komm, wir nehmen ein Taxi«, sagte sie.

22
    Am 15. Februar 2005 um 10.32 schrieb Jasmeet Singh
    Lieber Mr. Albert
    Sudeep ist sehr nett, aber ich muss einen Sikh heiraten. Einen Jat oder gar keinen, sagt Vater. Ich hoffe, ich werde oft kommen können.
    Jasmeet

    Am 15. Februar 2005 um 9.46 schrieb Albert James
    Liebe Jasmeet
    Freut mich, dass dir der Abend gestern gefallen hat. Er war sehr vielversprechend. Du fragst, was dahintersteckt. Das ist ganz einfach. Jeder übernimmt eine Rolle – Verehrer/Prinzessin – Räuber/Opfer – Muslim/Hindu – Arbeitgeber/ Arbeitnehmer – Guru/Anhänger – Mann/Frau – Spinne/Fliege – und dann, wenn das Drama sich seinem Höhepunkt nähert, gibt es einen Tanz, und alle wechseln die Rollen. Frag nicht warum. Es ist ein Experiment! Genieß es einfach.
    Jeder fängt mit einer leichten Rolle aus seiner Familie oder Kaste an und wechselt dann. Wir werden uns Videos von anderen Leuten anschauen, als Hilfe. Und von Tieren. Tiere sind nützlich, weil sie ihre Gefühle nicht verstecken. Sie sind einfach, wie sie sind. Du und Ananya und Vimala könnt mir sehr bei dem Tanz helfen. Der Rollentausch muss anmutig und zeremoniell ablaufen, wie ein Zauber. Er muss schön aussehen. Ich hoffe, du magst die anderen. Sudeep ist ein netterJunge, findest du nicht? Er studiert Schauspiel an der Universität.
    Danke fürs Kommen und grüß bitte deinen Vater von mir.
    Albert

    Am 15. Februar 2005 um 0.07 schrieb Jasmeet Singh
    Lieber Mr. Albert
    danke für den schönen Abend. Ich hoffe, es hilft Ihnen, wenn ich dabei bin, auch wenn ich nicht verstehe, was wir da machen. Können sie es mir erklären? Danke auch für das Abendessen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jasmeet Singh

    »Aber das sind ja Hunderte von Mails!«, murmelt John. Er hat nicht geschlafen. Er ist verwirrt, ihm brummt der Schädel. Das hier ist eindeutig die Offenbarung, wegen der er nach Indien gekommen ist: dieses Mädchen, dieser Computer. Genauso eindeutig ist die Tatsache, dass er noch nicht bereit dafür ist. Er möchte die E-Mails seines Vaters nicht lesen. Plötzlich will er überhaupt nichts mehr über seinen Vater wissen. Der Abend mit Sharmistha und Heinrich hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. John muss unter die Dusche. Er wünschte, dieses Mädchen wäre Elaine. Er möchte sich nicht mit Fremden treffen. Er wünschte, er wäre hier im Urlaub mit Elaine. Oder mit Mum. Er wird ihr eine Nachricht schicken: »Ich denke an dich, ich habe dir ein Geschenk gekauft.«
    Aber im Moment ist dieses Mädchen in seinem Zimmer. Sie ist wirklich hübsch mit ihrem runden Schmollmund und dem rabenschwarzen Haar unter einem gelben Kopftuch, aber sie hört nicht auf zu weinen. John fühlt sich unzulänglich. Er hat nicht geschlafen. Ich hätte in London bleiben sollen, denkt er. Letztendlich wäre es im Labor irgendwie

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