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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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streicheln, damit sie sich entspannen und für seine Berührungen öffnen konnte; aber heute warf jeder Kontakt, jeder Ton und jeder Geruch sie auf Albert zurück. Die Spannung wuchs. Paul verstand nicht, was los war. Die Frau war außer sich.
    »Ich kann nicht!«, rief Helen schließlich. »Ich will, aber ich kann nicht!«
    Sie wandte sich ab. Nach langem Schweigen sagte sie ruhig: »Also, dann kannst du jetzt ja aufstehen und gehen, Mr. Journalist.«
    »Ich heiße Paul«, sagte er. Seine Hand lag auf ihrem Kreuz.
    »Für einen so beschäftigten Mann wie dich muss das hier doch die reine Zeitverschwendung sein.«
    »Ich bin bewegt«, sagte er leise. »Und neugierig.«
    »Auf Albert.«
    »Auf Helen.«
    »Lügner.«
    »Okay. Auf Albert und Helen. Und auf uns.«
    Sie ließ sich von ihm streicheln. Ab und zu zuckte ein Körperteil. Sie war so verspannt, dass sie keine Kontrolle darüber hatte.
    »Wie kannst du deine hübsche Freundin einfach so betrügen?«, wollte Helen plötzlich wissen.
    Paul gab keine Antwort. Es war eine Nicht-Frage.
    »Nicht dass ich mich mit dem Betrügen nicht bestens auskennen würde«, fügte sie hinzu.
    Nach einer weiteren Weile des Schweigens fragte er: »Und wann brechen wir auf nach Bihar?«
    »Du bist zu fett«, murmelte sie.
    Er lachte. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, und er kniff sie sanft in die Taille. Sie reagierte nicht.
    Nach ein paar Minuten zog Paul seine Hand weg und rollte sich auf den Rücken. Er war ganz ruhig und spürte kein bisschen Angst vor der Zukunft. Das war ungewöhnlich. Er gab eine wichtige Einkommensquelle auf. Er würde Helen folgen und zuschauen, wie sie in Bihar ihrer Arbeit nachging. Er würde viel lernen und sich verändern. Endlich bin ich meinem Leben entkommen, dachte er. Er lag still da und hörte, wie der Wind eine Tür zuschlug. Auf der Straße brüllte jemand etwas.
    Sie drehte sich abrupt um. »Ich habe Albert ein Dutzend Mal betrogen«, sagte sie barsch. »Öfter. Glaub bloß nicht, das sei das Problem. Als hätte ich nie mit einem anderen geschlafen.«
    »Helen«, sagte er.
    Sie schauten sich an.
    »Ich habe es auch nicht verheimlicht. Sex ist keine exklusive Sache. Unsere Ehe ging wesentlich tiefer.«
    »Du bist eine ungewöhnliche Frau«, sagte Paul zu ihr.
    Sie hielt inne. »So, jetzt kannst du es dir noch einmal anders überlegen und dein Buch doch schreiben.«
    »Untreue ist immer gut; ausgesprochen verkaufsfördernd.«
    »Ahhhhhhhhh!«, kreischte Helen. Sie wandte sich von ihm ab und ließ ihre Stimme tief aus dem Bauch ertönen: »Ahhhhhhhhh!« Wieder und wieder: ein starkes, unartikuliertes Heulen. Dann wurde es zu einem Stöhnen, wurde immer tiefer und trauriger. Das Gesicht zur Wand gedreht, zog sie die Knie an ihre Brust, umschlang sie mit den Händen und stöhnte. Schließlich schwieg sie ein paar Minuten und sagte dann: »Geh weg. Geh einfach.«
    Es kam nicht infrage, dass Paul ging.
    »Geh!«
    Er wusste, dass sie das nicht wirklich wollte.
    In kokettem Tonfall sagte sie schließlich: »Du wirst dich bald mit mir langweilen. Ich bin zu alt.«
    Er sagte nichts.
    »Ich kann deiner Brut verlassener Kinder keine weiteren hinzufügen.«
    »Das spricht eindeutig für dich.«
    »Du wirst dich schnell langweilen!«, schrie sie. »Du wirst die Nase voll haben von elenden Dörfern, langweiligen, unbedarften Bauern, ekelhaften Gerüchen, Dreck und Tod. Tod Tod Tod überall, überall hilflose Menschen ohne jede Hoffnung, die wie die Fliegen um einen herumschwirren und ständig etwas wollen, ständig eine Hand ausstrecken und betteln. Sie betteln und betteln. Andauernd, ohne Unterlass.«
    Sie hatte sich verausgabt.
    »Wenn du nach all den Jahren noch nicht die Nase voll hast«, fragte Paul leise, »warum sollte es mir dann so gehen?«
    »Du wirst anfangen, Spinnen zu studieren!«
    »Ha. Das glaube ich kaum.«
    »Oder Theaterstücke für schnuckelige kleine Mädchen zu inszenieren.«
    »Das klingt schon besser.«
    »Damit du ihre köstlichen jungen Körper riechen und von ihrer arglosen, jugendlichen Energie zehren kannst.«
    Sie lag steif und verwirrt da. Warum hatte sie etwas so Hässliches gesagt? Dann umschlang sie sich heftig und grub ihre Nägel tief in ihre Haut.
    Paul sah es, blieb aber ganz ruhig. Es war ihm unheimlich; normalerweise machte es ihn unruhig und schuldbewusst, wenn er sah, dass eine Frau unglücklich war. Aber nicht jetzt.
    Dann drehte sie sich erneut unvermittelt um, und dieses Mal traf ihn eine Faust auf die Brust.

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