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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Ende wurden seine Qualen immer größer. Seine Arbeit zerbrach in ein Dutzend abwegiger Projekte. Er besuchte Ashrams und kam frustriert und wütend zurück. Er hatte alle möglichen Zipperlein. Nächtelang schlief er nicht, ging dauernd ins Badezimmer, und am Tag wanderte er ziellos umher.«
    Paul war perplex. »Was hat er denn gesagt, als du ihn gefragt hast? Wegen dem Sex. Dem nicht mehr stattfindenden.«
    »Ich habe ihn nicht gefragt. Anfangs dachte ich, vielleicht ist es irgendein Experiment, vielleicht will er sehen, wie ich reagiere. So etwas war Albert zuzutrauen.«
    »Und, wie hast du reagiert?«
    »Ich habe gewartet. Ich habe mich auf meine Arbeit konzentriert. Ich habe gelesen, was er geschrieben hat, in der Hoffnung, es dadurch zu verstehen. Aber in den letzten Jahren hat er kaum noch etwas geschrieben. Abgesehen von Bemerkungen in den Büchern von anderen. Einmal hat er gesagt, einen Satz vollständig hinzuschreiben, vom ersten Großbuchstaben bis zum Punktam Ende, sei wie eine gewalttätige Handlung, eine Falle, um Fliegen zu fangen.«
    »Was hätte Proust dazu gesagt?«, witzelte Paul.
    Sie schüttelte den Kopf. »Weiß der Himmel, wie er in der Schule unterrichtet hat, wenn er nicht an das Schreiben von ganzen Sätzen glaubte.«
    »Könnte es sein, dass er wie Gandhi anfing zu glauben, das Zölibat sei notwendig, um seine Aufgabe zu erfüllen?«
    »Albert konnte Gandhi nicht ausstehen, er hasste den Gedanken an einen Kreuzzug, an das zweckorientierte Gutsein.«
    Nach einer Weile versuchte Paul es erneut: »Vielleicht hat er von den Betrügereien Wind gekriegt, von denen du gesprochen hast.«
    »Aber davon hat er immer gewusst!« Sie schüttelte heftig den Kopf, so als wolle sie einen unangenehmen Gedanken abwehren, und sagte dann: »Ich habe es ihm erzählt. Vielleicht sogar, um ihn zu erregen. Zumindest zum Teil.«
    »Nicht mein Zuständigkeitsbereich, fürchte ich«, gab Paul zu. »Ich dachte, ich komme hierher, um über einen genialen Anthropologen und seine engelsgleiche Frau, die Entwicklungshelferin, zu schreiben.«
    »Sei nicht albern!«, sagte Helen scharf. Dann fuhr sie fort: »Albert wollte mich als Heldin sehen. Er sagte, da ich tagtäglich mit dem Tod konfrontiert war, sei es verständlich, wenn ich Liebhaber hätte.«
    »War Kulwant einer von ihnen?«
    »Ab und zu. Aber Albert wusste das. Er wusste, dass es nichts bedeutete. Gott, er wusste doch, dass Kulwant ein Idiot ist. Du hast ihn ja erlebt. Ein netter Idiot zwar, aber trotzdem ein Idiot.« Helen schlug leicht mit dem Kopf gegen die Wand hinter sich. »Ich habe mich gefragt, ob es etwas mit der Gerichtsverhandlung zu tun haben könnte. Gleich danach fing es an. Ich meine, hörte es auf. Mit dem Sex. Wir hätten eigentlich feiern sollen. Erwurde freigesprochen, sein Ruf war gerettet. Was immer das heißen will. Wir gingen wieder auf Reisen. Albert liebte das Reisen. Oh, warum nur?« Unvermittelt wurde Helen lauter, sie brüllte das Wort fast. »Warum? Warum hat er mir das angetan? Warum ? «
    Paul sagte nichts.
    »Ich habe mich in Chicago total für ihn eingesetzt.«
    »Vielleicht wollte er keine Hilfe?«
    »Doch, er war mir dankbar. Das habe ich deutlich gespürt.«
    »Vielleicht wünschte er, er hätte das Mädchen tatsächlich gefickt.«
    »Sieht dir ähnlich, das zu sagen. Aber er hätte das nie getan.«
    »Du hattest Liebhaber. Vielleicht hat er …«
    » Andere Leute haben Sachen gemacht«, sagte sie scharf, »aber Albert nicht. Er lebte, um mir beim Leben zuzusehen.«
    »Um dein geschäftiges Leben zu bewundern und sich darüber lustig zu machen.«
    »Genau.« Sie nickte und hielt kurz inne. »In gewisser Hinsicht hat er mir das Blut ausgesaugt.«
    »Und als er damit aufgehört hat, wurdest du unruhig.«
    Helen schüttelte ganz langsam den Kopf. »Albert hat sich von mir entfernt. Im Geiste. Ich weiß nicht, wohin er sich gewendet hat. Die letzten sechs Monate waren schrecklich. Erst ganz am Ende ist er zurückgekommen, und ich war glücklich. Er hatte sich so gequält. Ich glaube, er hatte das Gefühl, versagt zu haben. Sein Vater war so erfolgreich gewesen, in seiner Arbeit, bei den Frauen, mit seiner Familie; sein Bruder hatte den Mut aufgebracht, sich die Handgelenke aufzuritzen. So hat Albert das gesehen. Er war in der Lage, Selbstmord als etwas Positives zu betrachten, als Sieg, als Zeremonie. Er war von Zeremonien besessen. Ganz zum Schluss hat er wieder von Liebe gesprochen, davon, dass wir zusammengeschweißt wären.

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