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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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einfach nicht.
    Urplötzlich ertönte von der anderen Seite des Hofes ein lautes, schrilles Lachen. Eine Stimme erhob sich über das Pladdern des Regens, dann eine zweite. Es war eine durchdringende Frauenstimme, dann die dröhnende Stimme eines Mannes, der seine Anerkennung zum Ausdruck brachte. Kurz darauf legte jemand Musik auf; die Klänge von Zupfinstrumenten ertönten. Die Leute amüsierten sich, sie lebten, vielleicht würden sie bald miteinander schlafen.
    Than-Htay wird nie mit jemandem schlafen, dachte Helen. Der Gedanke kam ihr mit Wucht, mit der Kraft einer Tatsache, die man einfach wusste, Punkt. Der Junge wird nie mit jemandem schlafen. Und ich darf es auch nicht tun.
    Than-Htay hat etwas durchgemacht, erkannte Helen, das ihm jede Lebenslust genommen hat, jede Lust am Reden. Es lag in der Vergangenheit. Es war unheilbar.
    Wie seltsam, dass es ihr so leichtgefallen war, Albert zu betrügen, als er noch lebte, und es ihr jetzt, da er tot war, so schwerfiel.
    Albert hatte Than-Htay nicht gedrängt, wieder zur Behandlung in die Klinik zu gehen, dachte Helen jetzt, während sie in den Regen hinausschaute, weil er keine Lust mehr hatte zu leben. Eindeutig. Albert hatte keine Angst vor der Verzweiflung der anderen. Wäre er jetzt noch am Leben, hätte Helen ihn wegen dieser Entscheidung heftig angegriffen. Wir hätten uns heftig gestritten. Aber jetzt, da sie nicht mehr gegen ihn kämpfen konnte, wurde Helen klar, dass ein Teil von ihr Albert immer zugestimmt hatte, immer vermutet hatte, er könnte recht haben.
    War das der Grund, warum er sich über mich lustig gemacht hat? Er wusste, dass meine Einwände zwecklos waren; ich konnte mich nie wirklich gegen ihn durchsetzen. Und jetzt war es so, als müsse Helen sie beide zugleich sein: Sie musste im Geiste mit sich selber streiten, so wie Albert mit ihr gestritten hatte, sie musste sich anschauen, wie er es getan hatte, sich selber übersich lustig machen, wie er es getan hatte. Sie musste sich über sich selber lustig machen.
    Es war anstrengend.
    Im Dunkeln krächzte eine Krähe. Es klang unheimlich in dem schwarzen Regen. Der Ton schwoll gleichmäßig an und ab, krah krah krah, bis es kaum noch ein Ton war, sondern eher ein Rhythmus, eine Einladung in die Dunkelheit und den Regen. Die Sitar-Musik verklang. Ein Fenster war geschlossen worden. Stattdessen belebte der Vogel die Dunkelheit. Er saß irgendwo auf einem Sims. Sein Krächzen gab dem Regen einen Puls. Helen stellte sich vor, wie die Vogelkehle an- und abschwoll. Krah, krah. Dann hörte sie das Schlagen von Flügeln. Ein weiterer Vogel kam. Das Geräusch doppelte sich. Der Rhythmus wurde stärker, wie bei sich sammelndem Wasser. Krah, krah, krah, krah.
    Wäre Albert doch nur wirklich an meiner Seite, dachte sie. Das waren die Momente, in denen sie sich stark gefühlt hatte, und geliebt, auf seine seltsame Art, die Momente, wenn sie wirklich sie selbst war, in Abgrenzung zu ihm; nicht wenn sie sich mit geringeren Männern messen musste, denen es nur ums Vergnügen und um die Macht ging. Ich habe mich anderen Männern zugewandt, um zu Albert zurückkehren zu können, murmelte sie. Wie seltsam. »Du warst ein Gott«, sagte sie zu ihm, »das ist die Wahrheit.« Hast immer hingeschaut, und immer auf göttliche Weise ein Auge zugedrückt. Helen dachte daran, wie sie ihm zum letzten Mal die Augenlider zugedrückt hatte. »Für uns beide sehen zu müssen ist schwer«, murmelte sie.
    Sie trat auf den Hof hinaus in den Regen. Am liebsten würde sie darin duschen. »Ich möchte mich im Fluss auflösen«, hatte Albert gesagt. Die Flut trägt den Tag davon. Er hatte ein paar Träume erwähnt, aber sie hatte nicht zugehört. Er wollte nicht, dass sie alles hörte. Träume von Flut und Schöpfung, Träume von steigendem Wasser, von einer reingewaschenen Tafel.Helen hob das Gesicht zum Himmel, und der kühle Regen zeigte ihr, wie heiß und gespannt ihre Wangen waren.
    »Dr. James?«
    »Souk.«
    »Ich habe Sie überall gesucht. Der junge Mann hustet, Doktor.«
    Helen schloss die Tür und sperrte die Krähen aus, dann lief sie eilig auf die Station. Than-Htay lag auf der Seite, hatte die Knie angezogen und hustete krampfartig in Papiertücher. Helen befühlte seine Stirn und prüfte seinen Puls. Die Haut war gelb, die Augen blutunterlaufen. »Ich nehme ihn mit in mein Büro«, sagte sie. »Sonst hält er hier alle wach und jagt den Jüngeren Angst ein.«
    Die Schwester war überrascht. »Und wie wollen Sie sich dann

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