Traeume von Fluessen und Meeren
sie, während das Taxi sich an der Abzweigung zum Chandni Chowk vorbeikämpfte und dann in Richtung Mukherji Marg beschleunigte.
»Das Einkaufen fällt heute Abend aus, fürchte ich«, sagte Paul zu dem Fahrer.
In einer teuren Bar direkt am Connaught Place legte Elaine ein umfassendes Geständnis ab. Paul setzte das Mädchen in eine Nische mit Kerzenlicht und versorgte sie mit kleinen würzigen Süßigkeiten und Wodka auf Eis. Im Helldunkel von zwei flackernden Flammen und dem sich windenden Rauch wirkten ihre Brüste unter dem engen schwarzen T-Shirt noch fülliger und, dachte Paul, äußerst lebendig.
»Es wäre nie passiert, wenn John nicht weg gewesen wäre«, erklärte sie ihm. Sie war damals verzweifelt gewesen, wegen ihrer Karriere und so, ihrer nicht vorhandenen Karriere, aber zugleich auch übermütig. »Verstehen Sie? Je nachdem, ob John da ist, bin ich so oder so. Ich verändere mich.« Eigentlich wusste sie meistens gar nicht, wie sie sich fühlte, sagte Elaine, jedenfalls nicht genau. Sie seufzte. »Oft bin ich mir einfach nicht sicher.«
Wie auch immer. Sie war zu einem Vorsprechen gegangen. Dem x-ten. Sie hatte schon so viele hinter sich. Und sie war schlecht gewesen, fand sie. Manchmal war das so. Die Kandidaten bekamen ein paar Routineaufgaben: Spielen Sie jemanden, der soeben herausgefunden hat, dass er allmächtig ist, eine Frau, die gerade ihr Baby verloren hat, einen Jungen, der sich schminkt – das hatte Spaß gemacht –, einen Fanatiker, der sich auf den Märtyrertod vorbereitet.
»Wir mussten auch eine Rede vortragen, eine Art ›Der-Tagdanach‹-Szenario, wo nur ein Einziger die Katastrophe überlebt hat.« Elaine zog eine Schnute. »Gott, war ich schlecht.« Sie war echt überrascht gewesen, als die Sekretärin des Regisseurs sie am nächsten Tag anrief.
Paul hörte zu. Er mochte es, wenn Leute ihm ihre Geschichten erzählten, insbesondere junge Mädchen. Er hörte sich gerne ihre Sorgen an. Letztendlich hatte er die Frauen, mit denen er geschlafen hatte, nie wirklich verführt, und auch nicht verstanden, warum sie sich zu ihm hingezogen fühlten. Er hörte ihnen zu; junge Frauen waren so ungefähr die einzigen Menschen, denen Paul zuhörte. Er gab ihnen onkelhafte Ratschläge und ließ vielleicht die eine oder andere Bemerkung über sein eigenes kompliziertes und belastendes Privatleben fallen. Und irgendwie passierte es dann. Unweigerlich. Sie wandten sich von ihren Sorgen ab und ihm zu. Wenn auch nur kurz.
Jetzt, als Elaine ihre erste Begegnung mit dem japanischen Regisseur beschrieb, die schroffe Art des kleinen Mannes, seine merkwürdige Wohnung – »schwarze Möbel und weiße Teppiche!« –, versuchte Paul sich den aktuellen Gemütszustand des englischen Mädchens vorzustellen: Erst hatte sie die tollkühne Entscheidung getroffen, nach Delhi zu fliegen, aus reiner Verzweiflung, so schien es ihm; dann hatte sie einen langen, sehr unruhigen Flug durchgestanden; dann festgestellt, dass ihr Freund gar nicht hier war, sondern sie in die Irre geführt hatte; dann war sie von der Mutter des Jungen eilig abgefertigt und an einen übergewichtigen, aber leidlich attraktiven Amerikaner weitergereicht worden, der sie jetzt mit Alkohol abfüllte.
Sie muss völlig durcheinander sein, sagte sich Paul.
Hanyaki hatte ihr an dem Nachmittag sehr geschmeichelt, erklärte Elaine.
»Er hat immer wieder gesagt, ich besäße ein ungewöhnliches Fluidum. Natürlich hat mich das gefreut. Ich meine, ich habealles darangesetzt, eine erfolgreiche Schauspielerin zu werden. Wir haben stundenlang geredet.«
Elaine dachte einen Augenblick nach. »Er ist ein besonderer Mann. Hanyaki. Sehr klug. Er weiß alles. Ich finde seinen Akzent toll. Er ist so stark, er hat nie richtig Englisch gelernt, und es ist ihm total egal. Mir gefällt es, dass es ihm egal ist. Wie auch immer, es machte mir klar, wie jung John ist. Zu jung für mich. Noch nicht mal ein richtiger Mann. Als ich Hanyaki das zweite Mal traf, stand eine Flasche Champagner bereit, und ich dachte, ach, was soll’s. Ich war so gut drauf, weil er gesagt hatte, er würde mir die Rolle geben. Ich war euphorisch. Ich hatte es geschafft.«
Paul nickte verständnisvoll und nippte an seinem Drink. Er bot ihr eine Zigarette an, und das Mädchen nahm an, obwohl er gleich gesehen hatte, dass sie keine Raucherin war. Schließlich sagte er: »Aber die Proben liefen dann nicht so gut.«
Elaines Augen glänzten im Kerzenschein. »Ich weiß gar nicht, warum
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