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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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ausruhen, Doktor?«
    »Das geht schon«, sagte Helen. »Ich bin nicht müde. Ich werde irgendwo eine Matte finden.«
    »Than-Htay«, sagte sie mit sanfter Stimme. Sie wickelte den Jungen in eine Decke, legte ihm sein Kissen in die Hand, suchte nach seinen Hausschuhen und stützte ihn, während sie langsam über den Flur zu ihrem Büro gingen. Ihr wurde bewusst, als sie seinen Arm umfasste, wie zerbrechlich seine Schultern waren, und sie roch den Geruch der Krankheit auf seiner feuchten Haut. Ihr wurde bewusst, dass sie für diesen kranken Jungen mehr Zeit und Zuwendung übrighatte als für ihren eigenen Sohn, obwohl er ihr im Gegenzug nicht ein einziges Wort schenkte. Vielleicht gerade darum. Der Junge bestand nur aus seiner Krankheit, seinem Schweigen. Das zog sie an.
    In ihrem Büro entrollte sie die dünne Matratze, die sie während des Nachtdienstes benutzte. Er saß auf einer Stuhlkante und zitterte heftig. »Leg dich hin, Than-Htay«, sagte sie. Sie musste ihm das Kopfkissen aus der geballten Faust reißen.
    Zitternd und hustend lag er da. Helen löschte das Licht. EineWeile schaute sie ihn an, dann streifte sie ihre Clogs ab und legte sich neben ihn. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ganz nass war vom Regen. Ihr Arztkittel war durchnässt.
    Die Matratze war schmal und bot kaum Platz für sie beide. Der Junge war vom Fieber ganz benommen. Trotzdem wälzte er sich plötzlich herum und umarmte sie blind, umschlang ihre nassen Kleider.
    Ihr Gesicht war ihm zugewandt, und sie umarmte seinen knochigen, jugendlichen Körper und die Krankheit, die er ausschwitzte. Wer ist er wirklich? fragte sich Helen. Was glaubte er, wer neben ihm lag?
    Ihre Wange lag an seiner Wange. Er hatte Mundgeruch. Nun, sie hatte mehr als einen Liebhaber mit Mundgeruch gehabt. Mein eigener Atem riecht vermutlich nach Whisky, dachte sie. Eine Hand umklammerte ihre Finger, und diese Berührung löste in ihr stärkere Gefühle aus als alle Momente mit Paul.
    Helen seufzte tief und versuchte, einfach für den Jungen da zu sein, einfach anwesend zu sein. Dies ist das Leid, gegen das sie ihr Leben lang gekämpft hat: »ein Feind, der dich nie enttäuschen wird«, hatte Albert gesagt, »indem er seine Niederlage freiwillig eingesteht.«
    Albert ist hier, im Dunkeln. Ja. »Unsere Ehe ist noch nicht vorbei«, flüsterte Helen. »Du hast sie mit deinem Tod am Leben erhalten.«
    Paul dagegen hatte sehr schnell seine Niederlage eingestanden. Paul hatte zugestimmt, genau das zu tun, was sie vorgeschlagen hatte, und irgendwie hatte sie das zum Plappern gebracht, dazu, sich auf die dümmste Art und Weise zu erleichtern. Ihr Sohn gestand auch immer freiwillig seine Niederlage ein, und auch da hatte sie dann immer das Bedürfnis, Dinge zu sagen, die sie nicht sagen sollte, ihm ihr Herz zu öffnen.
    Gott sei Dank hatte sie nicht mit ihm gesprochen, als er zur Bestattung hier war. Es gab da einen Moment.
    »Ich werde nicht reden«, murmelte Helen und umklammerte den stummen Jungen ganz fest.
    Sie knöpfte ihren Arztkittel auf, zog ihn aus und drückte Than-Htay an ihre Haut. Er glühte. Sie wollte sich niemals an die Orte begeben, die heilig und verschwiegen bleiben mussten. Sie wollte keine Veränderung. Sie würde niemals sagen, Albert und ich waren nur so wegen dieses oder jenes Traumas, wegen dieser Mutter, diesem Bruder. Nein.
    »Ich möchte nicht noch einmal lieben.« Diese Entscheidung war jetzt getroffen. Lieber wollte Helen James mit dem Leiden dieses Jungen verschmelzen, mit seinem kranken Körper und seinem faulen, tuberkulösen Atem. Von draußen hörte sie nur den Regen und die Krähen; sie spürte den entfernten Trubel der Stadt und den Sog des Flusses mit den Wäscherinnen und den Leichenverbrennungen.

30
    Paul hatte erwartet, dass der Regen nachlassen würde, aber noch war es nicht so weit. Er dachte, Elaine könnte ein bisschen Abwechslung gebrauchen, deshalb bat er den Taxifahrer, sie am India Gate und anschließend an den Parlamentsgebäuden vorbeizufahren. Durch die verschmierten Scheiben und den starken, gleichmäßigen Regen hindurch betrachtet, schienen sich die Konturen des hell angestrahlten, pompösen Sandsteinkomplexes des Raj in der feuchtwarmen indischen Nacht aufzulösen. Dann wendeten sie erneut und fuhren an den Ghats vorbei Richtung Altstadt. Das uralte Taxi ratterte und spritzte auf dem unebenen, nassen Pflaster.
    »Dort ist das Denkmal für Rajiv Gandhi«, sagte Paul und zeigte mit dem Finger darauf.
    Es herrschte starker

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