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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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vor, als sei er gleichzeitig anwesend und abwesend, ehrlich und unehrlich. Er saß mit Elaine in der Bar, rauchte eine Huka und trank Wodka, war sich der Brüste des Mädchens in dem Gerüst ihres BHs äußerst bewusst, blieb aber gleichzeitig spürbar auf Distanz, beobachtete sich selber mit ihr, oder auch mit einem anderen Mädchen irgendwann in der Vergangenheit. Vielleicht sogar mit Amy. Und höchstwahrscheinlich war Helen James auf diesem Beobachtungsposten an seiner Seite; ja, Helen stand hinter ihm, während er sich selber zuhörte, wie er charmant und eindringlich mit Elaine sprach; und wenn er redete, warf die ältere Frau ironische Bemerkungen ein, sarkastische Kommentare, denn sie durchschaute alles, durchschaute seine Taktik, und warnte ihn wiederholt, mit dem Unsinn aufzuhören. Aber sie genoss es auch, dachte Paul. Und er genoss ihre Einwürfe, so schneidend sie auch sein mochten. Er wusste, dass Helen im Grunde gar nicht wollte, dass er sich änderte, sie wollte nicht, dass ein guterMensch aus ihm wurde. Es war eine Art Wettstreit, und Helen benutzte diese ironischen Bemerkungen, um Kontrolle über ihn zu gewinnen, als eine Form der Verführung vielleicht, so wie er klammheimlich, fast gegen seinen Willen, Netze für das Mädchen ausspannte. »Befreiung wovon und wofür?«, hatte Albert James in der einen frühen E-Mail geschrieben. Vielleicht gibt es gar keinen Ort, dachte Paul auf einmal, jenseits von Zwang und Überzeugung. Höchstens vielleicht den Tod.
    »Das klingt vermutlich so, als hätte ich massenweise Freundinnen gehabt«, fasste er ein paar Minuten später belustigt und entschuldigend zusammen, »aber in Wirklichkeit war es seltsamerweise immer so, dass die Frauen mich benutzt haben. Verstehen Sie? Wirklich. Und kaum bin ich mit jemandem zusammen, kaum soll ich jemandem treu sein, denke ich mit Sicherheit bereits daran, die betreffende Person zu betrügen. Ich glaube, ich habe es einfach nicht anders gelernt.«
    »Sie könnten umlernen«, sagte Elaine und zog erneut an der Huka.
    »Leichter gesagt als getan«, seufzte er. »Obwohl genau das wohl der Grund für meine Entscheidung ist, diese Entwicklungshilfe in Bihar zu leisten. Ich werde eine Weile wie ein Mönch leben. Fern jeder Versuchung.« Paul meinte es ernst, bemerkte aber gleichzeitig, wie gut es klang.
    »Sieht ganz nach Flucht aus«, wandte Elaine ein. Sie sprach jetzt lauter. Die Luft in der Nische war blau vor Qualm, und ihr Haar war zerzaust, weil sie ständig mit der Hand hindurchfuhr. Sie hatte ziemlich viel getrunken. »Ich glaube, Sie sollten zurückfliegen und diese Amy heiraten«, sagte sie ihm ganz ernst, »und sich zwingen, etwas daraus zu machen.« Sie echauffierte sich immer mehr und schien gar nicht zu bemerken, dass sich ihre Knöchel unter dem Tisch kurz berührten.
    Gegen eins bat Paul um die Rechnung. »Sie sind sicher müde«, sagte er zu Elaine. Draußen hielt ein Türsteher einenriesigen Schirm über sie, während sie Arm in Arm zu einem Taxi gingen. Elaine schob sich über den Sitz. »Zum India International Centre«, sagte Paul.
    »International Centre, Sir. Wo ist das, Sir?«
    »Lodhi Gardens«, sagte Paul.
    Das Taxi war ein alter Fiat. Der Regen prasselte auf das dünne Wagendach. Der Motor machte ein heiseres, ratschendes Geräusch, und die Federung hatte eine erschreckende Neigung zur Fahrerseite hin.
    »Typisch«, murmelte Paul.
    Sie hatten gerade erst die Tolstoy Marg erreicht, da hustete das Fahrzeug kurz und gab dann an einer Ampel seinen Geist auf. Elaine kicherte. Sie saß dicht neben Paul. Der Fahrer drehte den Zündschlüssel herum und murmelte etwas vor sich hin, während der Anlasser sich drehte und drehte. Nach vier oder fünf Versuchen erwachte das Ding mit einem Schaudern zum Leben. An der nächsten Ampel erstarb es wieder.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Paul.
    »Sehr in Ordnung. Sehr normal, Sir. Älteres Auto, Sir. Der Vergaser.«
    »Eine entzückende Klapperkiste«, sagte Elaine lachend. Leise in Pauls Ohr flüsternd, lieferte sie eine perfekte Imitation des Fahrers: »Sehr in Ordnung, sehr normal, Sir. Älteres Auto für älteren Mann, Sir.«
    Paul drückte ihren Arm. Sie fuhren über eine breite, mit glänzenden, schlammigen Pfützen und abgerissenen Zweigen bedeckte Straße. Der Fahrer hatte ein junges, ziemlich mürrisches Gesicht und trug eine schmuddelige blaue Kopfbedeckung. Er wirkte beleidigt, weil Paul seinem Fahrzeug nicht traute. Vielleicht hatte er etwas von Elaines

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