Traeume von Fluessen und Meeren
war durch ihn hindurch und über ihn hinweggeströmt und hatte ihn heil und gelöst und frei atmend zurückgelassen.
Etwas Schlimmes ist vorbei, dachte er. Die Luft ist wieder frisch. Es geht mir besser. Bestimmt ist das Fenster offen. Schließlich konnte er die Konturen im dunklen Zimmer ausmachen. Ach ja. Das Zimmer. Im Hotel Govind. Er war verstört. Er drehte sich leicht und hielt dann inne. Seine Hand tastete hinter ihm über die Bettdecke. Das Mädchen. Wie hieß sie noch mal?
Jasmeet.
Der Übergang zur Realität war so abrupt und brutal, wie der Übergang vom Albtraum zum Wachsein heilend und wohltuend gewesen war. John rutschte und wäre fast aus dem Bett gefallen. Ich bin vollständig angezogen, stellte er fest. Was ist passiert?
Stolpernd ging er ins Badezimmer und knipste das Licht an. Der Inhalt seines Kulturbeutels war überall verstreut: In der Duschwanne, im Waschbecken, auf dem Fußboden. Sein Rasierer schwamm in der Toilette. Jemand hatte den kleinen Spiegel mit Zahnpasta beschmiert.
Er starrte das rosafarbene Gekritzel an. Ein furchtbarer Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und er rannte zurück ins Zimmer. Durch den Türrahmen fiel das Neonlicht aus dem Bad in den Raum und ließ die Umrisse ihres Körpers auf dem Bett geisterhaft erscheinen. Mit ein paar schnellen Schritten war erbei ihr. Sie lag ganz still. Er senkte den Kopf. Sie lag still, aber sie atmete. Jasmeet schlief tief, süß atmend, vollständig angezogen.
Wieder spürte John eine Welle der Erleichterung. Das Mädchen ist wunderschön. Sie ist ein Kind Gottes, murmelte er. Wieso kamen ihm solche frommen Worte in den Sinn? John ist kein bisschen religiös. Im fiel etwas ein; er schaute hoch zur Wand. Keine Schrift. Keine Tiere oder Ungeheuer. Er schaute zum Tisch, zu den Regalen. Der Computer war weg. Ja. Das war also wirklich passiert. Der Diebstahl hatte sich ereignet. Und mein Telefon. Und das Paschminatuch. Die Sachen hatten auf dem Bett gelegen. Du hättest es melden sollen. Wenigstens dem Hotel.
Plötzlich rannte er wieder um das Bett herum und beugte sich hinunter, um ihr Gesicht anzuschauen. Sie hat eine kleine Platzwunde an der Unterlippe, einen blauen Fleck auf der braunen Haut.
Du hattest einen Anfall, sagte er sich. Du hast Sachen gemacht, ohne zu wissen, was du tust. Der Gedanke erschreckte ihn. Gewalttätige Sachen. Du warst nicht bei dir. Vielleicht hast du sie geschlagen. John hatte noch nie jemanden geschlagen. So ein Mensch war er nicht. Aber das Mädchen war trotzdem hiergeblieben. Sie ist ein mutiges junges Ding, dachte er. Er wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Vielleicht mag sie dich. Er sah das glänzende rote Täschchen an ihrem Gürtel. Sie lag auf der Seite. Vielleicht weiß sie nicht, wo sie sonst hin soll. Sie ist wirklich vollkommen! Sie hat mit deinem Vater geschlafen, dachte John.
Er schaute auf seine Armbanduhr. Viertel vor sechs. Tatsächlich, das Licht färbte das Fenster bereits grau. Der Tag wird schnell kommen. Ich muss fast – wie lange? – zwölf Stunden? geschlafen haben. Vielleicht sogar noch länger. Ich muss zusammengebrochen sein. Jasmeet hätte leicht weggehen können. Sie hätte leicht alles Mögliche mitnehmen können. Stattdessenhat sie ihn aufs Bett gelegt und sich dann neben ihn gelegt. Sie muss ganz schön stark sein, wenn sie ihn hierher geschleppt hat. Es sei denn, er war selber gegangen und konnte sich nur nicht daran erinnern. Er betrachtete sie, und es kam ihm jetzt so vor, als genösse das Mädchen ihren Schlaf. Sie genoss den Schlaf wie ein duftendes Bad, oder eine sanfte Massage. Sie seufzte, regte sich, und ein warmer Geruch von Atem und Haut erfüllte die Luft.
John trat zurück. Er wollte hier raus sein, ehe sie aufwachte. Er war jetzt klar im Kopf, fühlte sich aber anfällig, aufgewühlt und hungrig. Er war hungrig wie ein Wolf.
Wo sind meine Sandalen?
Eine lag auf dem Fußboden neben einer von Jasmeets Sandalen. Er starrte ihre elegante kleine weiße Sandale an. Ein Kinderschuh. Wo ist seine zweite? Er möchte nicht mit ihr reden und sein Verhalten erklären müssen. Das Mädchen jagte ihm irgendwie Angst ein. Diese kleine Sandale jagte ihm Angst ein.
John suchte. Wo ist sie nur? Ach da, unter dem Bett. Er holte tief Luft, bückte sich und zog seine eigene Sandale hervor, streifte sie sich über den Fuß und lief eilig nach unten. »Ich gehe nur schnell zum Geldautomaten und hebe Geld ab, um die Rechnung zu bezahlen«, erklärte er der
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