Traeume von Fluessen und Meeren
Empfangsdame. Es war dieselbe Frau, die ihn gestern gebeten hatte, die Rechnung zu begleichen. Sie hob den Blick nicht von ihrer Schüssel mit Blütenblättern.
An der übernächsten Straßenecke war ein Geldautomat. John gab die Codenummern ein. Das Geld kam heraus. Es war beruhigend. Genau wie auf der Egdware Road. Die bunten Scheine knisterten.
Danach, an der erstbesten Essensbude, verschlang er teigiges Brot mit einer Art Joghurt und drei kleine gebratene Küchlein. »Das«, sagte er und zeigte mit dem Finger, »und das, und das und das.« Er kümmerte sich nicht um die Namen der Dinge,sorgte sich nicht im Entferntesten um die Hygiene. Er blieb an einer weiteren Bude stehen und aß noch einmal. Er aß Gebratenes, Fleisch, Gebäck, schon wieder etwas Süßes. Das Essen blieb ihm an den Zähnen kleben. Es füllte seinen Mund. Er konnte sich nicht erinnern, je so hungrig gewesen zu sein oder so schnell gegessen zu haben.
Mit vollem Magen machte er sich auf den Weg nach Alt-Delhi. Die Stadt war jetzt hell, glänzte und dampfte in der warmen, feuchten Morgenluft. Es musste stark geregnet haben. Überall spiegelten sich verzerrte, zerhackte Flächen in den Pfützen. Vage erinnerte er sich an die ersten Blitze, die Vorboten. Er hatte aus dem Fenster geschaut, ja, und am Himmel Schlangen gesehen.
Jetzt blieb er bei einem Obststand stehen und kaufte Bananen und Pfirsiche. Dann an einer Teebude. Süßer Chai-Tee. Scheußlich. Ich werde platzen, dachte John, aber er fühlte sich gut. Er lehnte an der Theke der Teebude und betrachtete die Bäume, Wände und Autos, die in dem hellen, nassen Licht wie lackiert aussahen. Die schweren Formen hatten trotz des allgegenwärtigen Schmutzes eine blendend helle Oberfläche. Die Stadt war verdreckt, aber sie strahlte. Das ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, entschied John. Alles wird gut.
Auf der Treppe zu seiner Linken, die in eine enge Gasse führte, hockte ein Affe. Die Gasse war angenehm dunkel. Ich bin hier nicht weit weg von den Sufi-Gräbern, dachte er. Er erkannte die Straße wieder, oder glaubte es zumindest. Er erinnerte sich an die Männer mit dem seltsam fremdartigen Gesang, das hypnotisierende Trommeln. Trommeln wirken auch wie ein blendendes Netz, das über die Dinge geworfen wird, über die Dinge, die sich nicht bewegen. »Auch nach Hunderten von Jahren ist das Grabmal des Propheten und Dichters noch immer ein Anziehungspunkt für die Gläubigen« – John erinnerte sich an diese Worte, die das rhythmische Trommeln überlagerten,gesprochen von jemandem, der redete, als lese er aus einer Touristenbroschüre vor.
Ich muss einen Anfall gehabt haben, sagte sich John. Ich habe einen Anfall erlitten, ähnlich wie man einen Unfall hat und dann im Krankenhaus aufwacht. Zum Glück hatte er nichts Schlimmes angerichtet. Ich muss mich bei Jasmeet entschuldigen, sagte er sich. Und zwar richtig. Ja, ich werde ihr helfen, ein Ticket nach London zu kaufen. Wir können zusammen reisen. Mutter wird auch mitkommen. Sie würden ein fröhliches Trio sein.
Er bezahlte den Chai-Verkäufer. Jetzt fühlte er sich stark. Mit schnellen Schritten lief er an Männern vorbei, die lange Karren durch die engen Gassen steuerten. Fleisch und Lebensmittel, Ziegelsteine, Eimer, Fahrradreifen. Es war erstaunlich, wie lang diese Karren waren. Alles klapperte. Alles schien schwer und schmerzhaft hell zu sein. Wie zum Teufel schafften sie es, die Dinger zu schieben? Und jetzt überquerte ein Mann die Straße, der fünf oder sechs Kisten auf dem Kopf trug.
Ich hatte eine Halluzination, stellte John fest. Ganz Delhi ist eine einzige Halluzination.
Er erreichte den Bahnhof, zwängte sich durch eine dichte, drängelnde Menschenmenge, blieb an einer Mauer verwirrt stehen und versuchte, sich zu sammeln. Schließlich bahnte er sich einen Weg durch die morgendlichen Reisenden, überquerte die lange Brücke, die über die Bahnsteige führte, und bog nach links ab.
Ja, hier war es gewesen, wo er das Mädchen gesehen hatte, das Flöhe aus dem Haar seiner Mutter klaubte. Die beiden hatten ebenfalls eine Trommel geschlagen. Wo war der Straßenname? Es wurde langsam ernsthaft warm. Warum schrieben sie die Straßennamen nicht an eine gut sichtbare Stelle? Ich habe zu viel gegessen, dachte er.
Dann entdeckte er an einer Schaufensterscheibe eine Adresse: 405 Shadhanad Marg. Gut. An einer Ecke, hatte Jasmeetgesagt. Die lange Straße, die an der Eisenbahnstrecke entlangführte, lag im hellen Dunst. Mum wird gegen
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