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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Imitation aufgeschnappt. »Es fährt immer wieder los, Sir«, erklärte er mit säuerlicher Würde. »Sie machen sich jetzt keine Sorgen.«
    Elaine brach in Kichern aus.
    Das Mädchen lehnte sich halb an ihn, und Paul fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sie im International Centre ankamen. Es war ihm eigentlich egal. Meine Karriere ist im Eimer, dachte er. Er hatte noch nie ein schon begonnenes Projekt aufgegeben. Es war seltsam, dass ihn das kaum beunruhigte. Und Amy vermisse ich kein bisschen, überlegte er.
    Dann, als sie am India Gate vorbeifuhren, an dem Park, der heute im Regen menschenleer war, fiel ihm etwas ein, das Helen gesagt hatte, als sie an dem Abend zusammen auf dem Rasen gesessen hatten. »Es wäre für dich gefährlich, Albert zu weit zu folgen«, hatte sie gesagt.
    Das Auto hustete und stotterte erneut. Ganz plötzlich lagen Elaines Finger in seinem Nacken. »Sie sehen zu albern aus mit diesem Schal.« Diese Kicherattacke konnte sie nicht mehr abschütteln. »Kaum zu glauben, dass Sie ihn immer noch umhaben!«
    Ihr Gesicht kam ganz nah an seins heran, als sie sich vorbeugte, um die rosa Seide aufzubinden. Er spürte ihren alkoholisierten Atem auf seinen Lippen. Halbherzig protestierte er: »Nicht so ziehen. Du lieber Himmel, Sie erwürgen mich ja! Au!«
    Ihre Münder waren dicht beieinander. Dann erstarb erneut der Motor. Diesmal nicht an einer Ampel, sondern als der Wagen nach einer Kreuzung wieder beschleunigte. Der Fahrer steuerte das Fahrzeug durch eine tiefe Pfütze an den Straßenrand.
    Elaine lehnte sich schwungvoll zurück, immer noch lachend. Verhalten fluchend fing der Fahrer an, den Anlasser zu betätigen. Nach einem Dutzend Versuche sagte Paul: »Ich glaube, wir sollten uns ein anderes Auto suchen.«
    »Überhaupt nicht, Sir. Alles sehr normal.«
    »Mein Gott«, Elaine war wieder bei sich, »ich bin total erschöpft.«
    »Nur einen Moment, Sir. Altes Auto. Startet immer.«
    Sie warteten, während der Mann unermüdlich den Schlüssel herumdrehte. Dann hatte Paul genug. »Hören Sie, es ist nur noch knapp ein Kilometer bis zu Helens Wohnung«, sagte er. »Wir gehen zu Fuß und rufen von dort ein anderes Taxi.«
    »Es regnet sehr stark, Sir«, sagte der Fahrer.
    Paul bezahlte ihn für die bisherige Fahrt, und sie stiegen aus. Sie hatten keinen Schirm, aber der Regen war warm. Als Elaine um das Auto herumgegangen war und ihn untergehakt hatte, waren sie bereits völlig durchnässt. »Altes Auto!«, imitierte sie kichernd den Fahrer. »Startet immer.«

31
    »Lieber Paul.«
    Der Brief war nicht an ihn gerichtet.
    John hatte eine Vorahnung gehabt. Er war im Stockdunkeln aufgewacht und hatte lange nicht gewusst, wo er sich befand. Er hatte keine Angst. Er machte sich keine Sorgen. Im Gegenteil, er fühlte sich beim Aufwachen extrem wohl, so als sei er von etwas geheilt worden. Du bist nicht krank, dachte er. Trotz allem. Es hat keine Katastrophe gegeben. Dann wurde ihm klar, dass er die Art von Wohlbehagen empfand, die auf einen Albtraum folgt. Ja. Er hatte Liebesnachrichten gelesen, auf seinem Telefon, aber sie waren nicht an ihn gerichtet. Es war der Name eines anderen Mannes. Elaine war bei ihm, als er die Nachrichten las; sie wusste, dass er es wusste, aber es war ihr gar nicht peinlich. »Ich muss sie an die falsche Nummer geschickt haben«, sagt sie. Es waren leidenschaftliche Nachrichten. Sie war noch nicht einmal beunruhigt. Sie umarmte ihn trotzdem, so als wäre diese Sache ganz unwichtig. Sie lagen im Bett, und John las immer wieder diese Nachrichten; Nachrichten, die nicht nur an eine andere Person gerichtet, sondern auch in einer anderen Sprache verfasst waren, von der er kein einziges Wort verstand, in einer anderen Schrift sogar, einer Schrift, die nicht aus Buchstaben, sondern aus winzigen Insekten, Blumen, Schuhen und Tieren bestand, eine schöne, symmetrische Schrift in schönen Farben, in der auf dem Display seines Telefons unverständliche Nachrichten der Liebe – einer Liebe, die ich nie verstehen werde, dachte er –erschienen, die sich immer wieder neu zusammensetzten, wie in einem Kaleidoskop. Elaine lag neben ihm, spöttisch lächelnd, und dann wachte er im Stockdunkeln auf und empfand eine riesengroße Erleichterung.
    Nur ein Albtraum. Keine Katastrophe.
    Aber irgendjemand ist bei ihm. John spürte einen Druck an seinem Rücken. Ein weiblicher Druck, dachte er. Er roch es. Er lag völlig entspannt da. Eine riesige Welle des Schreckens hatte ihn überrollt,

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