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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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der Matratze stehen ein halbes Dutzend kleine, grün-weiße und gelb-weiße Schachteln. Er sieht sie, aber sie haben keine Bedeutung für ihn.
    »Mum?«
    John ging in die Hocke, sprang aber sofort wieder auf.
    Sie war nackt. Es ist das erste Mal, dass er die nackten Schenkel und den nackten Po seiner Mutter sieht. Er bekam Angst. Er hatte noch etwas anderes gesehen. Ihm ist schlecht.
    John wich zurück bis hinter den Schreibtisch, stützte sichauf der Platte ab und presste eine Hand auf seinen Mund. Du träumst, sagte er sich. Ihm war eindeutig übel. Er wartete. Er atmete heftig und tief. Nicht kotzen. Warte. Atme. Ich träume.
    John keuchte jetzt, er keuchte und wartete. Es ist das Warten von jemandem, der sich auf einen Sprung ins Wasser vorbereitet. Er begriff das. Von jemandem, der zitternd am Ufer steht. Mach dich bereit für den Schock des Eintauchens. Wenn er nicht sprang, würde das Ufer einfach zerbersten, und er würde weggeschwemmt.
    Vielleicht solltest du einfach gehen, sagte er sich. Geh. Verlass diesen Raum. Mum wird wohl kaum erfreut sein festzustellen, dass du sie nackt gesehen hast, wenn sie aufwacht, nicht wahr? Geh und warte draußen, bis sie wach wird. Sei ein braver Junge.
    »Mum!«, brüllte er und ging schwankend um den Schreibtisch herum. Diese blöden Hausschuhe passen ihm nicht. Er stolperte. Er blieb mit dem Zeh an einer Matte hängen und wäre fast auf die beiden Körper gefallen. Er stieß sich das Knie. Der Krach wird sie aufwecken.
    Nein. Hat er nicht.
    John schaute hin. Wieder musste er sich eine Hand vor den Mund halten. Seine Mutter war splitternackt und hielt eine lange, dünne Gestalt mit kurzem schwarzem Haar umschlungen. John starrte die Frau an, deren Haut in der Dunkelheit leuchtete.
    »Mum?«
    Sie umarmte den Mann auf der schmalen Matratze. Ihr Arm lag um seine Schultern, ihr Knie auf seinen Oberschenkeln. »Mum! Zum Teufel!« Warum wachten sie nicht auf? Er kniete sich hin, griff nach ihrer Schulter und zog.
    Die Haut ist kalt und klamm. John hielt inne. Sein Atem ging jetzt wieder heftig. Was soll das? Das hier ist etwas anderes als Jasmeets Schlaf, dachte er. Es fehlt das Summen, die Wohligkeit.
    »Bitte wacht auf«, murmelte er.
    Er sah jetzt, dass es ein Junge war, kein Mann. Wer ist das? Ist das Paul? Dann erhob er sich wieder. Sie wollten doch bestimmt nicht, dass er hier war, wenn sie aufwachten, oder? Es wäre ein Schock für sie. Entdeckt zu werden. Nein, er musste sie wecken und dann sofort verschwinden, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
    Dann wurde er wütend. Wann hat Mum mich je so umarmt? Wann hatte er sie je nackt gesehen? Das ist der Sohn, von dem sie in dem Brief schreibt, dachte er. Ein Sohn, von dem er gewusst haben muss, dass es nicht seiner war . Der Junge hat braune Haut. Er kann nicht Dads Sohn sein. Wollten sie deshalb nie, dass du zu Besuch kommst?
    Der glatte Rücken und der Po seiner Mutter waren so schön geschwungen und wirkten so seltsam jung. Sie war ein Mädchen. Wie konnte sie so jung aussehen?
    »Mum, wach auf!«
    Er brüllte diese Worte jetzt aus Leibeskräften. Er war erschöpft.
    »Sie wird nicht aufwachen, John«, sagte eine Stimme.
    John hörte auf zu schreien und lauschte. Nichts.
    Das Licht unter dem Rollo war heller geworden. Im Raum herrschte jetzt eine tiefe Stille. Aber es ist die Stille von Menschen, die mit Absicht still geworden sind. Nicht die Stille der Abwesenheit. Es sind brütende Schatten. Oder die Stille, die man antrifft, wenn man irgendwo hinkommt, auf eine Lichtung, in einen Wald, in das obere Stockwerk eines verlassenen Hauses, und weiß, dass jemand sich dort versteckt. Ja. Vielleicht sogar mehr als eine Person. Sie haben sich eilig hier versteckt, als sie dich kommen hörten. Es ist ihnen gelungen, genau in dem Moment zu verschwinden, in dem du aufgetaucht bist. Sie verstecken sich vor dir, John. Immer. Sie haben sich im Dunkeln versteckt und sich lustig gemacht.
    »Dad?«, rief er. John schwankte im Stehen. »Dad, bist du es?«
    Er zitterte jetzt. Aber diesmal bin ich nicht wahnsinnig geworden, erkannte er. Im Raum war es still. Jedenfalls noch nicht. Sie schlummern, sagte er sich und meinte die beiden Gestalten auf der Matratze. Es war nicht der gleiche Schlaf wie der von Jasmeet, es war kein Schlaf der Anwesenheit, der sanften Seufzer und einer Stirn, die sich in Falten legte und wieder glättete. Sie schlummern, sie sind vorübergehend inaktiv, und bald werden sie wieder zum Leben erweckt.
    Er schaute

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