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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Freund«, sagte Paul. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. »Ist etwas passiert?«
    »Sie sind kein Verwandter, Sir?«
    »Ich sagte, ich bin ein Freund. Ein Freund der Familie«, fügte er hinzu.
    »Es wohnt kein Verwandter von Dr. James bei dieser Nummer?«
    »Hier wohnt kein Verwandter, nein. Nur ich.«
    »Sie sind ein Freund von Dr. James.«
    »Ja.«
    »Bitte kommen zur Sudha-Dutta-Klinik, sofort. Sie wissen, wo das ist? Shadhanad Marg? Kennen Sie? Ja. Sehr gut. Ich erkläre Ihnen, wenn Sie hier sind. Nein, bitte jetzt kommen. Das ist eine polizeiliche Anweisung. Jetzt. Unverzüglich.«
    Als er zum Bett zurückkam und sich hinsetzte, fragte sich Paul, warum er sich so … wie eigentlich? So aufgewühlt fühlte? Oder schuldig? Oder nur seltsam desorientiert. Es war ein körperliches Gefühl, eine Art Leere. Was um alles in der Welt wollte die Polizei von ihm? Hat das Telefon womöglich den Traum verursacht? Während er seine Schuhe suchte, war er sich bewusst, dass er Elaine um ihren jugendlichen Kummer beneidete und Helen um ihr intensives erwachsenes Leid. Diese Frauen. »Ich besitze keinerlei Intensität«, sagte er sich laut, und dann fiel ihmein, was das Mädchen erst vor zwei Stunden gesagt hatte: »Es kam mir irgendwie überhaupt nicht echt vor.«
    Denn der Abend hatte schließlich zu einem Kuss geführt. Als sie gegen zwei Uhr morgens in Helens Wohnung kamen, tropfnass und lachend nach dem Abenteuer, durch den warmen Regen zu laufen, über Bürgersteige voller Sturmspuren, da hatte er sich ihr zugewandt, und sie schien seine Avancen zu begrüßen. Sie hatten sich geküsst.
    Und?
    Seine ganze Erfahrung sagte Paul, dass ein Kuss die Sache so oder so entscheiden würde: Zwei Persönlichkeiten trafen sich mit nackten Lippen, und dann wusste man gleich, wer der andere war, oder zumindest, was er für einen selbst bedeuten könnte. Man wusste, ob es Sex geben würde oder nicht.
    Paul hatte sich Elaine zugewandt, vielleicht spontan, vielleicht berechnend (diese Kategorien waren schon seit langer Zeit unbedeutend für ihn geworden). Der Mund des Mädchens traf auf seinen; sie kosteten sich gegenseitig, öffneten sich einander; sie besaß eine nervöse, dringliche Wärme; die Angst und Verwirrung des Abends hatten sich in ihren Lippen gesammelt. Und sie hatte sich nicht zurückgehalten. Sie ließ zu, dass seine Arme sie umschlangen und ihre Körper sich aneinanderpressten. Es gab keinen Widerstand. Der Kuss muss mindestens zwei Minuten gedauert haben.
    »Wir sind klatschnass«, sagte sie dann.
    »Ich hole dir ein Handtuch.«
    Er war eilig ins Bad gegangen, in Gedanken ganz mit logistischen Fragen beschäftigt. Hier? Jetzt? Wann würde Helen nach Hause kommen?
    Er kam mit einem Bademantel zurück. Ihre Haare auf dem Kopfkissen könnten zum Problem werden. Vielleicht auch ihr Parfüm. Paul mochte solche Einzelheiten.
    Elaine stand noch auf der Türmatte, wo Helen ihre Hausschuhe abstellte.
    »Ich sollte jetzt lieber ins Hotel fahren«, hatte sie gesagt.
    Paul reichte ihr den Bademantel. »Trockne dich erst mal ab«, sagte er. »Was ist denn los?«
    »Bitte«, sagte sie. »Ruf mir ein Taxi.«
    Paul war nicht der hartnäckige Typ. Aber er war überrascht.
    »Es war ein schöner Kuss«, sagte er leise.
    Es gelang ihr zu lächeln und sich gleichzeitig auf die Lippe zu beißen. Sie machte den Mund auf, stockte: »Ich bin gekommen, um John zu sehen.«
    Paul reichte ihr das Handtuch. »Schönes, aber flüchtiges Wesen«, sagte er mit gespieltem Ernst, »gib mir eine Minute, um mich umzuziehen, dann rufe ich ein Taxi und bringe dich zurück.«
    Er war in sein Zimmer gegangen. Beim Abtrocknen und Umziehen war er sich sehr bewusst gewesen, dass er übergewichtig und über vierzig war. Überall um ihn herum waren Albert James’ Bücher mit dem geheimnisvollen Gekritzel darin. James’ Problem war, dachte Paul plötzlich, dass er an nichts Spaß hatte.
    Als er zurückkam, trug Elaine immer noch ihre nassen Sachen, hatte den Kopf geneigt und trocknete sich mit dem Handtuch die Haare ab.
    »Dein hübscher pinkfarbener Schal«, sagte Paul.
    Er war völlig durchnässt, und dadurch wurde das Pink dunkler, fast rot. Sie nahm den Schal, verzog das Gesicht und stopfte ihn in ihre Tasche. »Du hast wirklich süß damit ausgesehen.«
    »Willst du wirklich gehen?«
    Sie nickte. Aber dann ging beim Taxiunternehmen keiner ans Telefon. Eine Tonbandansage erklärte, dass sie an Wochentagen von zwei bis sechs Uhr morgens geschlossen

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