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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Erde hellgrün angestrichen und dann mit den gleichen Ringelblumenblüten besprenkelt worden, die die Schulmädchen auf den Sarg seines Vaters gestreut hatten. Ein weiterer Besucher war tatsächlich auf die Knie gefallen und war nun im Weg. Er murmelte Gebete, küsste sogar den Boden und war ganz offensichtlich wie von Sinnen. Und jetzt bemerkte John, dass dieflache Rinne, die den Grabhügel umgab, mit Geld gefüllt war. Viel Geld. Aber er war entschlossen, nichts hinzuzufügen.
    »Das Grab wird den ganzen Tag bewacht, rund um die Uhr, bis in alle Ewigkeit«, flüsterte Heinrich.
    John war wütend. In gewissem Sinne, davon war er überzeugt, war sein Vater schon immer ein Riesendummkopf gewesen.

5
    »Gehe ich recht in der Annahme«, fragte der Biograf, »dass der wahre Grund für Alberts Tod der ist, dass er sich nicht behandeln lassen wollte?«
    Helen James hatte sich bereit erklärt, mit dem Mann zu sprechen. Es war früher Abend, und sie saßen in der Lounge des Hotel Ashoka. Am Morgen hatte sie sich gleich besser gefühlt, nachdem sie John losgeschickt hatte, um sich in Agra das Taj Mahal anzuschauen. Sie war stolz auf den Jungen, aber er schien überflüssig zu sein. Dann war sie sich in der Klinik irgendwie desorientiert vorgekommen. Das war sehr unangenehm. Sie spürte, dass sie unkonzentriert und ohne Mitgefühl arbeitete. Ihr Leben lang hatte sie, wo immer Albert gerade eine Finanzierung für eins seiner Projekte bekommen hatte, ihre Leistungen ohne Bezahlung einem örtlichen Krankenhaus angeboten. Immer hatte sie vollen Einsatz gezeigt. Unter dem flinken Blick ihrer glänzenden Augen und dem sicheren Druck ihrer geübten Finger auf wunder Haut hatten selbst Männer und Frauen aus ganz fremden Kulturen ihre Skepsis überwunden. Bei den Iatmul wurde sie Wagan genannt: Hexenheilerin.
    In den frühen Jahren, in Kenia und Neuguinea, hatten sie und Albert die Kliniken selbst eingerichtet und zusammengearbeitet: sie untersuchte infizierte Wunden, hörte schlimmen Husten ab, verteilte Medikamente, während er die Laborarbeit und den Papierkram erledigte. Helen war Ärztin, Albert Biologe. Das war ursprünglich die Triebkraft ihrer Ehe. Sie waren beide erpichtdarauf gewesen, England zu verlassen. Beide hatten das Charisma des anderen gebraucht, um den Aufbruch zu wagen, und beide wussten, dass sie den anderen nur gewinnen und halten konnten, wenn sie bereit waren, alles hinter sich zu lassen. Sie wollten ihre Arbeit den Ärmsten der Welt widmen. Eine andere Erklärung für ihre vielen Reisen war nicht nötig.
    Dann machte Albert einen Schritt zurück. Über einen Zeitraum von fünf, sechs Jahren waren ihm Zweifel an der Richtigkeit ihres Anliegens gekommen. Indem er von der Biologie zur Anthropologie, dann zur Kinetik, Proxemik und Kybernetik wechselte, hatte er seine berühmte Theorie der nichtmanipulativen Forschung entwickelt: Jede bestehende Kultur ist klüger als ihre fremden Besucher und Möchtegern-Wohltäter; die Klinik rettete Einzelnen das Leben, aber sie veränderte auch Denkweisen, Sitten und Gebräuche, die Einstellung zu Krankheit und Tod; diese Veränderungen würden langfristig unberechenbare Folgen haben. Er schrieb Aufsätze über empfindliche, sich selbst korrigierende Kulturökonomien – er war selber sehr empfindsam – und die komplementäre Persönlichkeitsabgrenzung in komplexen sozialen Systemen. Nonkonformistische Intellektuelle fanden ihn toll.
    Zu dem Zeitpunkt hatte Helen John bekommen. Es war eine schwierige Zeit für sie. Ein Antrieb war verloren gegangen. Sie beide waren ein Paar gewesen, ein Team, und jetzt sollten sie eine Familie werden. Haben wir das je geschafft? fragte sich Helen. Sie vermisste ihre Arbeit, die Arbeit, die sie mit Albert geteilt hatte. Sie vermisste es, Menschen zu heilen. Und bei den Dingen, mit denen ihr Mann nun beschäftigt war, konnte sie ihm nicht helfen. Intellektuell hatte er sich von ihr entfernt. Eine Einheimische konnte sie auch nicht werden; sie waren sich beide einig, dass eine Europäerin niemals einer prämodernen Kultur angehören könnte. Das westliche Bewusstsein stand dem im Weg. John musste natürlich auf englische Schulen geschicktwerden. Der Junge kam und ging. Also fing Helen an, ihre medizinischen Kenntnisse in Krankenhäusern einzusetzen, die nach lokalen Standards von Einheimischen betrieben wurden, und nahm Anweisungen von anderen entgegen. Das konnte man wohl kaum als Einmischung bezeichnen, protestierte sie.
    Helen lebte auf bei

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