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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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nächste Mal kommst.« Dann fügte sie hinzu: »Er hatte große Schmerzen, aber er wollte sich nicht pflegen lassen. Du weißt ja, wie er war. Zum Schluss wollte er einfach nur sterben.«
    Während sie sprach, wandte John seinen Blick nicht von ihr ab. Es war unangenehm. Der Junge war darauf aus, ihr nahezukommen. Sie hatte das Bedürfnis, ihn zu umarmen, aber sie wusste, sie würde es nicht tun. Sie würde ihn auch nie unter Druck setzen, in die Klinik zu kommen und ihr bei der Arbeit zuzuschauen. »Es ist so, John«, sagte sie unvermittelt, »wir haben so gut wie kein Geld. Das solltest du wissen. Es ist ein Problem. Die Einkommensquellen, die dein Vater hatte, werden jetzt natürlich versiegen, und ich fürchte, wir haben nichts auf der hohen Kante. Du wirst so bald wie möglich selbst für dich sorgen müssen.«
    Das war übertrieben, aber es funktionierte. »Albert hatte keine Versicherung«, erklärte sie. Sie saß auf ihrem Platz an dem großen Tisch. »An so etwas haben wir nie gedacht, weißt du.«
    »Aber wie viel Geld ist denn da?«, wollte John wissen. Seine Stimmung hatte sich verändert. Er war jetzt wachsam und aggressiv, schüttelte ständig seine leere Coladose, als wolle er feststellen, ob noch etwas darin war. »Ich meine, wenn ich mich um andere Einkommensquellen kümmern muss, dann möchte ich wissen, wie schnell.«
    »Du solltest deine Großeltern besuchen, sobald du zurück bist«, sagte sie. »Ich bin sicher, sie können dir helfen.«
    Dann hatten Mutter und Sohn sich gestritten. Es kam unerwartet und war nicht angenehm. Helen hatte sich jedenfalls nicht am Tag von Alberts Bestattung streiten wollen, doch der Junge war dickköpfig.
    Auf keinen Fall, sagte er immer wieder, würde er zu Oma Janet kriechen und um Geld betteln. »Die alte Hexe.«
    »Mein Vater ist ja auch noch da«, sagte sie spitz.
    »Großvater Jack ist doch total plemplem!«, protestierte John. Mit großer Feindseligkeit erklärte er seiner Mutter, sie solle selbst mit ihrer Mutter Kontakt aufnehmen. »Mach du das, du bist schließlich ihre Tochter.«
    »Aber in dich war sie immer vernarrt!«, rief Helen.
    »Vor zehn Jahren vielleicht«, sagte John. »Man kann nicht ein halbes Leben lang keinen Kontakt zu seinen Verwandten haben und sie dann plötzlich um Geld anbetteln!«
    »John, John, John«, sagte Helen lachend. »Jetzt übertreib mal nicht! Du solltest dankbar sein, dass du nicht mit einer Bettlerschüssel auf der Straße sitzt.«
    Sie schwieg und betrachtete ihn eingehend. »Warum hast du immer Angst vor Menschen gehabt, John; Angst davor, zu arbeiten, Angst, um etwas zu bitten? Oma Janet würde dir sehr gerne helfen.«
    »Ich habe keine Angst, verdammt noch mal!«, protestierte er. Er fluchte gerne. Seine Mutter fluchte nie. »Und nur zu deiner Information: Ich arbeite vierzehn Stunden am Tag.«
    »Aber nicht für Geld. Du hast in all den Jahren nie irgendetwas für Geld gemacht.«
    »Du ja auch nicht! Du bist doch stolz darauf, umsonst zu arbeiten.«
    »Ich brauche ja auch kein Geld. Und was ich mache, ist etwas anderes.«
    »Jeder braucht Geld.«
    Helen lächelte nachsichtig. »Ich brauche wirklich keins, John«, sagte sie. »Nicht, solange ich in der Klinik arbeite. Die Leute sind großzügig. Sie zahlen in Naturalien. Das Leben hier ist billig. Und ich brauche nicht zu jeder Mahlzeit eine Dose Cola, und auch keine schicken Hosen und Pullis.«
    »Das meiste geht für die Miete drauf«, wandte John ein. »Du hast ja keine Ahnung, wie es in London heute zugeht. Ich habe kein Auto. Ich gehe nicht essen. Und Cola trinke ich zu Hause auch nicht. Nur wenn du sie mir besorgst. Ich lebe wie ein Mönch.« Ein langes Schweigen trat ein. »Dad hätte daran denken sollen«, sagte er vorwurfsvoll.
    »Ach du lieber Himmel«, sagte sie lachend. »Nur weil du für dich selbst sorgen musst, ist plötzlich der arme Albert schuld.«
    John hatte den Kopf geschüttelt und sich von ihr abgewandt, hin zum Fernseher, wo ein feister BBC-Reporter in einem türkisfarbenen Hemd gerade ein paar marokkanische Ladenbesitzer über die Nachteile der Demokratie befragte.
    »Dein Vater hat alles riskiert«, sagte sie, »um seine Forschungen in unkonventionelle Richtungen zu lenken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es war, für manche seiner Projekte Fördermittel zu bekommen.«
    Helen hielt inne. Sie schien nachzudenken. »Jedenfalls haben wir in deinem Alter nicht mehr vom Geld unserer Eltern gelebt. Wir hatten nichts, als wir nach Kenia

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