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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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verständnislos anschaute, so als sei »Freundin« keine Kategorie, mit der er etwas anfangen konnte, erläuterte Paul: »Eine junge Frau, eine enge Freundin von John und der Familie, traf in Dr. James’ Wohnung ein, weil sie dachte, John sei in Delhi und würde bei seiner Mutter wohnen. Dadurch haben wir überhaupt erst erfahren, dass John möglicherweise in Delhi sein könnte. Dann, weil Dr. James hier in der Klinik Nachtdienst hatte, habe ich die junge Dame in ein Hotel gebracht, dann zum Essen ausgeführt und bin anschließend mit ihr, da es ihr erster Besuch in Delhi ist, noch durch die Altstadt gefahren.«
    Der Polizist hatte mit dieser Information seine Schwierigkeiten. Er hatte seine Brille abgenommen und putzte sie stirnrunzelnd mit einem Papiertaschentuch, so als könnten saubere Gläser ihm dabei helfen zu verstehen, was Paul ihm gerade erzählt hatte. Nach kurzem Schweigen fragte er: »Warum ist diese Frau nach Delhi gekommen, von wo ist sie angereist, wie alt ist sie, warum sind Sie mit ihr essen gegangen und durch die Altstadt gefahren?«
    »Wie gesagt –« Paul wurde klar, dass seine Geschichte für einen Mann von der Herkunft des Polizisten nicht unbedingt viel Sinn ergab –, »das Mädchen, sie heißt Elaine, ist eine gute Freundin der Familie. Vielleicht wird sie einmal Johns Ehefrau. Jedenfalls ist sie aus London hergekommen, um ihn zu besuchen. Er hatte ihr gesagt, dass er in Delhi ist, aber nicht, wo er wohnte.« Als der Polizist noch immer nicht überzeugt wirkte, fügte Paul hinzu: »Unter diesen Umständen war es ein Gebot der Höflichkeit für mich, mit ihr auszugehen. Sie kennt Indien überhaupt nicht.«
    »Sie sind auch mit ihr durch die Altstadt gefahren? Im Regen?«
    »Ja. Dann haben wir noch etwas getrunken. Am Connaught Place.«
    »Und die Dame wird das bestätigen?«
    »Natürlich. Sie wohnt im India International Centre. Ihr Nachname ist, glaube ich, Harley. Ich erinnere mich nicht an den Namen der Bar, aber ich könnte Sie auf jeden Fall hinführen.«
    »Und um welche Zeit haben Sie Ihre Dame dann nach Hause gebracht?«
    »Nicht meine Dame«, korrigierte Paul. »Warten Sie«, er tat so, als würde er nachdenken. »Soweit ich mich erinnere, war ich um halb zwei wieder in Helens Wohnung.«
    »Halb zwei? Sie gehen mit einer Freundin der Familie bis halb zwei aus!« In der Stimme des Beamten lag ein eindeutigunangenehmer Spott. Er kratzte sich an einem Ende seines Schnurrbarts und tauschte mit dem jungen Mann, dessen Stift über das Papier glitt, ein Lächeln aus. Dann klingelte erneut sein Telefon. »Hallo?« Er ging eilig zur Tür und sprach im Flur leise weiter. Ein älterer Mann in weißem Kittel klopfte an, trat ins Zimmer, reichte dem jungen Polizisten hinter dem Schreibtisch eine Akte, sagte ein paar Worte auf Hindi und verschwand eilig wieder.
    Der Beamte kehrte zurück und schaute sich kurz die neue Akte an. Drei, vier Mal gab er dabei einen grunzenden Laut von sich, so als wäre er nicht zufrieden. »Und«, er blickte auf, »was hat Dr. James gesagt, als diese Freundin der Familie eintraf?«
    Paul wurde bewusst, wie angespannt er war. »Helen war äußerst überrascht«, sagte er vorsichtig. »Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass John nach Indien kommen wollte. Und den Besuch dieser jungen Frau hatte sie auch nicht erwartet. Sie wusste nicht genau, welche Art von Beziehung die beiden hatten.«
    »Hat Dr. James sich gefreut, dass ihr Sohn in Delhi war?«
    »Sie hat immer noch nicht geglaubt, dass er tatsächlich hier ist.«
    Sehr barsch sagte der Polizist: »Es gab Streit zwischen Mutter und Sohn, nicht wahr, Mr. Roberts. Keine Ausflüchte bitte. Dr. James hatte Angst, ihn in Delhi zu sehen.«
    »Nein«, protestierte Paul.
    »Warum hat niemand das Telefon benutzt und den Sohn angerufen? Diese Situation ist nicht glaubwürdig, Mr. Roberts.«
    »Sein Telefon war ausgeschaltet …«, fing Paul an.
    Aber jetzt summte wieder das Telefon des Beamten, und wieder ging der Mann eilig aus dem Zimmer, um mit dem Anrufer zu sprechen. Paul war jetzt sehr beunruhigt, er saß ganz still, lauschte auf die leise Stimme draußen im Flur und nahm den jungen Polizisten wahr, der sich auf seine Notizen konzentrierte, Korrekturen vornahm und ab und zu die Akte anschaute, die hereingekommen war. Der Raum war vom Boden bis zur Deckemit Holzregalen und Kisten voller Medikamente vollgestellt. Dann drang durch das eine schmale Fenster die Stimme eines Straßenhändlers, der seine Waren anpries:

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