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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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»Aber ich sage dir was: Jedes Mal, wenn John und jetzt auch du über ihn redest, dann werdet ihr aufregend und«, sie zögerte, »irgendwie sexy.«
    »Das merke ich mir«, sagte Paul lächelnd.

    Drei Stunden später, als er sie am frühen Morgen die Treppe hinunter zum Taxi begleitete, küsste sie ihn ganz unerwartet noch einmal. Sie wolle nicht bis zum Hotel gebracht werden, sagte sie. Die feuchten Sachen hatte sie einfach mit einer belustigten Grimasse und einem kleinen Frösteln wieder angezogen. Aber als sie am Eingang ankamen, wandte sie sich ihm zu und breitete die Arme aus. Es war erkennbar der gleiche Kuss wie zuvor, aber auch unmissverständlich ein Abschiedskuss. Dann flüsterte sie ihm ins Ohr: »Tut mir leid, aber es kam mir so unecht vor.«
    Paul war eilig wieder nach oben gegangen und hatte sich ins Bett gelegt. Er war wütend auf sich selbst. In der letzten Woche hatte er sich vorgenommen, sich zu ändern, und jetzt hatte er gleich bei der ersten Gelegenheit diesen Vorsatz verletzt. Er war verwirrt. »Du musst nach Bihar gehen«, murmelte er. Er wiederholte die Worte. In diesem ganzen Abenteuer, sagte er sich, istdie einzig solide und konsequente Person Helen gewesen. Sie war überall und immer gleich; sie lebte und rettete Leben, während Albert nichts Anderes tat, als zuzuschauen und sich Notizen zu machen. »Geh nach Bihar«, flüsterte er. »Das Leben hat dich an eine große Veränderung herangeführt.«
    Unfähig zu schlafen, hatte Paul diese Fragmente immer wieder vor sich hin gemurmelt. »Das Leben hat dich zu einer großen Veränderung geführt. Du musst nach Bihar gehen. Du hast genug Frauen verführt. Hast genug Leben g espielt . Dein Versagen bei Elaine ist der Wendepunkt. Geh nach Bihar. Geh mit Helen. Das Leben hat dich zu Helen geführt, und nach Bihar.«
    Egal, auf welcher Seite er lag, nach ein paar Sekunden spürte er einen Puls im Ohr. Bihar. Bihar. Er legte sich auf den Rücken. Bihar war ein armer, elender Ort. So stellte er es sich zumindest vor. Ich hatte mir ein Leben aufgebaut, dachte Paul: die Bücher, Amy. Warum muss ich das jetzt machen?
    Er drehte und wälzte sich, aber die Worte kamen automatisch immer wieder. »Geh nach Bihar. Ändere dein Leben. Geh nach Bihar.« Dann lag er plötzlich in einem anderen Bett; er war wieder in seinem Haus in Boston, bei seiner zweiten Frau und ihrer kleinen Tochter, und eine Stimme rief aus dem Keller seinen Namen, von irgendwo tief unter der Erde: Paul.
    »Was sagt man dazu!«, murmelte Paul, legte den Telefonhörer auf und ging ins Badezimmer, um zu pinkeln. Die Polizei von Delhi. Er hatte nie viel von Träumen gehalten. Kein Grund zur Eile, dachte er. Er hatte auch nie viel von der Polizei in Entwicklungsländern gehalten. Durch seine jahrelange Erfahrung als Journalist war er vertraut mit ihrer Vorliebe für Dramen und Bürokratie, besonders wenn Ausländer involviert waren. Vermutlich ging es um irgendwelche Einwanderungspapiere oder eine Arbeitserlaubnis. Paul machte Kaffee und rief sich dann ein Taxi.Vor der Klinik standen zwei Polizeiwagen. Immer noch unsicher, ob er erschrocken oder genervt sein sollte, ließ sich Paul zum Wartezimmer der Ambulanz führen. »Warten Sie bitte hier«, wurde er unvermittelt gebeten. »Wir werden gleich mit Ihnen sprechen können.« Ehe er protestieren konnte, waren die Beamten schon wieder verschwunden.
    Paul schaute sich um. Die Bänke vor den nackten Wänden waren alle besetzt, und mehr als ein Dutzend Männer und Frauen saßen geduldig wartend auf dem Fußboden, sprachen leise miteinander, kauten oder kratzten sich, alles in einer warmen, aber für den amerikanischen Journalisten fremden Atmosphäre des Beisammenseins.
    Er ging ans Fenster und schaute durch Gitterstäbe und schmieriges Glas hinaus auf den Weg aus Ziegeln und Schlamm, der vom Tor zur Kliniktür führte. Der Ausblick war überhaupt nicht schön, aber besser als die stillen, neugierigen Blicke der Inder im Warteraum. Es ärgerte ihn, wie sie ihn anschauten, so ruhig und kollektiv. Dann stürzten vier Polizisten durch den Haupteingang zwanzig Meter weiter rechts nach draußen. Zwei von ihnen hielten einen jungen Mann fest, einen Weißen mit flachsblondem Haar. Sein Kopf wackelte und er schwankte, so als befände er sich in Trance. Ein Polizist lief voran, ein weiterer hinterher.
    Paul schaute mit gerunzelter Stirn zu. Die Polizisten stießen den blonden Jungen durch das Tor und dann in ein Auto. Irgendetwas war passiert. Paul drehte

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