Traeume von Fluessen und Meeren
bitte vielmals um Entschuldigung. Das war nicht sehr rücksichtsvoll von mir. Ich –«
Sie drehte sich um. Er war ebenfalls aufgesprungen. Er trug einen eleganten blauen Anzug, aber keine Krawatte. Auf seinem Gesicht lag eine gequälte Munterkeit, wie bei einem Hund, der mit Anerkennung gerechnet hat und plötzlich in seinen Zwinger gesperrt wird.
»Ich muss auf die Toilette«, sagte Helen.
Sie stieg eine lange Treppe hinab zu den gewölbeartigen, in weißem Marmor ausgekleideten Toiletten. Sie wollte sich das Gesicht waschen, die Augen kühlen. »Ich werde alleine weinen, mit Albert«, sagte sie laut, »wenn ich die Asche ausstreue. Nicht wenn jemand dabei ist.«
Ein dunkelhäutiges junges Mädchen rutschte von einem Barhocker und kam eilig herbei, um für Helen das Waschbecken zu füllen; ein hübsches Mädchen mit dickem Haar, das zu einem Zopf geflochten war. Sie setzte den Stöpsel ein und prüfte die Wassertemperatur. Die Hähne waren aus glänzendem Messing. Das Mädchen reichte ihr auf einem Porzellantellerchen ein neues Stück rosafarbene Seife, holte dann ein weiches weißes Handtuch und hielt es auf ausgestreckten Händen bereit. Ein Mädchen für meinen Sohn, dachte Helen. Es gibt so viele junge Mädchen. Sie betrachtete die weichen dunklen Hände, die ihre eigenen abtrockneten, das Braun und Gold der im Kolonialstil gehaltenen Uniform. Das Mädchen hatte bemerkt, dass sie verstört war.
»Ist alles in Ordnung, Madam, brauchen Sie noch etwas?«
Helen machte ihre Tasche auf, um ihr ein Trinkgeld zu geben. Wenn sie wollte, konnte sie jetzt einfach das Hotel verlassen; sie hatte nichts im Salon zurückgelassen. Sie könnte den Abend alleine verbringen, anfangen, Alberts Sachen durchzusehen. Es gab so viele Sachen in der Wohnung, die plötzlich leblos wirkten. So viele Plätze, die sich leer anfühlten. Sie schwankte leicht, während sie ihr Gesicht in dem hell erleuchteten Spiegel betrachtete. Der Waschraum war äußerst luxuriös. Der Marmor war so weiß wie Puderzucker. Ihr Gesicht wirkte ausgeblichen, wie verschleiert.
»Braucht Madam etwas Puder?« Das Mädchen kam wieder herbei. »Wir haben auch Lippenstifte, Madam.«
Zögernd, aber entschlossen stieg Helen die Treppe zum Bambuszimmer wieder hinauf.
Sie redeten noch zwei Stunden. Zuerst müsse er ihr erklären, warum er das schwarze Schaf der Familie sei, sagte sie. »Oh, weil ich geschieden bin«, sagte Paul Roberts lachend. Er hatte ein explosives Lachen. »Scheidung war etwas Undenkbares in dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, verstehen Sie? Nur böse Onkel ließen sich scheiden, und nur Hexen führten sie in Versuchung. Aber ich gehe davon aus, dass Sie wissen, wie es im puritanischen Neuengland zugeht. Und ich rauche! Ja, leider Gottes! Geradezu zwanghaft. Und Rauchen ist natürlich des Teufels. Von meinem Philosophiestudium ganz zu schweigen. Die Scheidung war letztendlich nur eine Bestätigung.«
Helen lächelte. »Und haben Sie wieder geheiratet?«
»Klar, und mich wieder scheiden lassen!« Der Amerikaner lachte noch lauter.
»Wie schade.«
»Kein bisschen.«
»Und haben Sie Kinder?«
»Drei. Zwei von Nummer eins, eins von Nummer zwei. Eine hübsche Symmetrie, wenn man verquere Logik mag.«
Das war Alberts Vokabular. Der Mann zog eine Show ab. »Ich hätte gerne einen Wodka«, sagte sie zu ihm. Sie lächelte nicht. »Einen Wodka mit Zitrone und viel Eis.«
»Ist mir ein Vergnügen«, sagte er grinsend und hob eine Hand.
Als der Drink kam, erzählte sie dem jüngeren Mann, dass sie Indien nie wirklich gemocht hatte. Am glücklichsten war sie an den unverdorbensten Orten gewesen: in Neuguinea, in Borneo. Sie benutzte nie das Wort primitiv. Aber nach den USA hatte Albert gefunden, dass es wichtig war, am Punkt der größten Reibung zwischen Tradition und Moderne zu sein, an der Verschmelzungslinie, wie er es nannte, oder dem Zusammenfluss: und das hieß Indien.
Als sie die USA erwähnte, betrachtete sie den Journalisteneingehend. Er sagte nur: »Ich war eine Weile für den Globe in Delhi. Eine erschreckende Stadt.« Helen trank ihren Wodka in einem Zug aus und fühlte sich danach besser. Ohne ihre Erlaubnis einzuholen, bestellte Paul Roberts noch einen.
»Was Albert wollte«, sagte Helen, »war, ein kybernetisches Modell zu erstellen, anhand dessen wir vorhersagen können, wie verschiedene Kulturen die Einflüsse westlicher Ideen aufnehmen und umwandeln. Selbst Krankenhäuser werden hierzulande zum Beispiel völlig anders
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