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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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hat?«, fragte er. »Als er über heilige Familien sprach?«
    »Er erzählt nur dummen Unsinn für die Touristen«, sagte der Führer entrüstet. »Shiva und Parvati sind keine Elefanten. Nur Ganesh ist ein Elefant, und bei ihm auch nur der Kopf.«
    »Ich werde sie meiner Freundin schenken«, sagte John. Nicht ein Elefant, nicht zwei Elefanten, nein, drei Elefanten! Er hörte sich schon, wie er für Elaine den Akzent des Straßenhändlers nachäffte.
    »Sie lieben Ihre Freundin sehr?«, erkundigte sich der Führer. Er scherzte jetzt fast mit ihm, so als hätte Johns Bericht von Albert James’ Ansichten über die Liebe sie irgendwie zu Komplizen gemacht. Aber John antwortete: »Ja, das tue ich.« Er war selbst überrascht von seinen Worten. Er hatte ihr das nie ins Gesicht gesagt.
    Dann forderte jemand ihn auf, sein Handy einem Wachposten zu geben. »Auf dem Gelände sind keine Telefone erlaubt, weil das den heiligen Ort entweiht«, erklärte der Führer. »Es lenkt den Geist ab. Vielleicht wollten Sie gerade ihre Freundin anrufen, nicht wahr?« Er lachte. »Er wird es zurückgeben, Sir, keine Sorge.«
    Noch ein paar Schritte, und sie sahen das Taj Mahal. Die berühmte weiße Fassade schwamm auf einem See, der als Spiegel vor dem Gebäude angelegt worden war. In der Mitte die große Kuppel, flankiert von den Minaretten zu beiden Seiten. Erst jetzt wurde John klar, dass er bereits Hunderte von Fotos davon gesehen hatte. Er kannte diesen Ort bereits und war unbeeindruckt. Der Führer fühlte sich erneut bemüßigt, ein langes Geschwafel anzustimmen: »Weil die Mogul-Architektur keine Anbauten nach der Fertigstellung zuließ, musste das Bauwerk von Anfang an perfekt geplant werden. Daher die bewundernswerte Symmetrie der Anlage, verstehen Sie, die Ausgewogenheit von –«
    »Was haben Sie in den USA studiert?«, unterbrach ihn John.
    »Ich habe angefangen zu studieren, aber es gab ein Problem mit dem Geld, Sir.«
    »Das tut mir leid«, sagte John.
    »Sie müssen sich Zeit lassen«, sagte der Führer. »Es ist wunderschön. Bleiben Sie, so lange Sie wollen.«
    John weigerte sich, die Spiegelung der Fassade in dem stehenden Wasser zu bewundern. Entschlossen steuerte er auf das Grabmal selbst zu. Er ärgerte sich darüber, die Elefanten tragen zu müssen.
    »Ich war noch nie mit jemandem hier, der es so eilig hatte«, jammerte der Führer.
    »Aber das ist doch gut für Sie, oder?«, fragte John. »So kommen Sie schneller wieder nach Hause.« »Was Ihr Vater wollte«, hatte Heinrich auf der Rückfahrt in der Rikscha am Abend zuvor gesagt, »war vermutlich, dass Sie diese beiden sehr unterschiedlichen Grabstätten direkt nacheinander besuchen.« »Natürlich! Er möchte, dass Sie im Vergleich der beiden irgendetwas erkennen«, hatte die parfümierte Sharmistha hinzugefügt. Wieso habe ich mich bloß nötigen lassen, hierher zu kommen? fragte sich John. Wieso behandeln mich alle wie einen Studenten?
    Jetzt musste er an der Tür seine Schuhe ausziehen.
    »Sie können dem Bewacher der Schuhe ein Trinkgeld geben, wenn Sie möchten«, erklärte der Führer. »Es ist aber nicht Pflicht.«
    John gab keins. »Schuhe sind also wie Telefone und Autoabgase?«, fragte er.
    »Sie bringen Schmutz von draußen herein, ja. Dies ist ein heiliger Ort.«
    »Dann wäre es nur logisch, auch den Atem anzuhalten«, sagte John. »Am Anfang und am Ende atmen« , hatte sein Vater geschrieben. Was zum Teufel sollte das heißen?
    Aber als er in das Bauwerk eingetreten war, hielt John schließlich doch inne und schaute sich um. Trotz der vielen Menschen, dem Geschiebe, der allgemeinen Entweihung flößten die Grandiosität und das versteinerte Weiß des Taj Mahal einem Ehrfurcht ein.
    »Beachten Sie auch die vollkommene Symmetrie der Blumen, die vielfarbigen Edelsteine der Einlegearbeiten. Wie sie sichüberall hinranken. Das hier ist Bernstein. Und die arabischen Schriftzeichen, sehen Sie – dies ist Topaz –, sie wurden ebenfalls vollkommen symmetrisch angelegt, damit es scheint, als entsprängen die Worte dem gleichen Willen zur Perfektion wie die Blumenmuster.«
    Ein paar Minuten lang betrachtete John die Wände und Säulen. Er wartete, bis er an der Reihe war, die Intarsien aus der Nähe anzuschauen. Die verschwenderisch kolorierten Punkte und Schnörkel sagten ihm nichts. Was für eine Bedeutung hat die Sprache, wenn man sie nicht lesen kann? Er war umgeben von schubsenden, drängelnden Menschen, während das Gebäude selbst eine geradezu

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