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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Sand, sondern Schlamm. Ich laufe … «
    Er brach ab und las den Brief von Barclays. »Ihr Konto ist um 1.487 Pfund überzogen …« Er wurde zu einem Gespräch gebeten. Warum hatte sein Vater nicht etwas Praktisches zum Thema Geld geschrieben? Hatte er wirklich keine Lebensversicherung gehabt? Oder über die Vergangenheit, darüber, dass sie Vater und Sohn waren? Wer scherte sich schon um seine Träume?
    »Ich laufe mit deiner Mutter durch die Altstadt, am Fluss entlang. Ich sage Altstadt, ohne zu wissen, welche. Es könnte Cambridge sein, oder Delhi, oder sogar Angoram. Wir sind bestürzt, als wir entdecken, dass kein Wasser im Fluss ist, sondern nur Schlamm. Ich sehe einen gut aussehenden jungen Menschen auf dem Geländer sitzen, und er, oder vielleicht ist es auch eine Sie, erzählt mir, er/sie wolle am Wochenende ans Meer fahren. In der Stadt sei es zu schlimm geworden, jetzt wo der Fluss ausgetrocknet sei. Ich wende mich zur Seite und entdecke eine alte Zeitung, die im Schlamm begraben liegt. Ich ziehe sie heraus und schaue auf das Datum: 7. August 1945.«
    John leerte seine Teetasse. War der 7. August ein bedeutsames Datum? Dad war 1945 geboren, aber im Januar. John blätterte den Brief durch, auf der Suche nach etwas Interessanterem.Die gleichmäßige Neigung der sehr langen Spitzen und Enden der handgeschriebenen Buchstaben erzeugten einen Flimmereffekt, vielleicht weil sie so oft im rechten Winkel auf die Schatten der Schrift von der anderen Seite des Blattes trafen. Es sah aus wie ein Gitter oder ein Netz, oder als würde die eine Seite des Blattes die andere auslöschen.
    »Ich brauche mit Dir wohl kaum über die möglichen Interpretationen dieser Träume zu reden, John . « Endlich tauchte sein Name auf, nach gut der Hälfte des Briefes. » Sobald in dem, was wir untersuchen, Muster auftreten, entsteht die Versuchung, sie als Sinnbild für dieses oder jenes zu lesen, so als stünden sie für etwas Anderes, und damit die metaphorische Aura zugunsten der erkenntnisträchtigen Hülle aufzugeben. Allerdings …«
    »Was für ein blasierter Schwachsinn! Dad! Du stirbst, verflucht noch mal. Sag etwas Echtes!«
    »Der dritte Traum …«
    »Träume sind lächerlich!«, brüllte John.
    Er stand auf und gab seinem Koffer einen Tritt. Vater hatte den Verstand verloren. Wie hat Mum das ausgehalten? Vielleicht eine Metastase im Gehirn. Es hätte Dad ähnlich gesehen, erst zum Arzt zu gehen, wenn es schon zu spät war; oder irgendeinen Wunderheiler zu besuchen. So was faszinierte ihn. Vermutlich um Mum zu ärgern, sich ihrer Art der Medizin zu verweigern. Dad nahm nie Medikamente. Aber jetzt fiel John sein eigener Traum von den seltsamen Schuhen ein, die man ihm im Flughafenshop verkauft hatte. Er runzelte die Stirn. Wieso hatte der Traum ihn so beeindruckt?
    »Der dritte Traum, und der letzte, mit dem ich Dich belästigen werde, ist nicht so klar wie die anderen. Wieder war ich im Urlaub mit einer Gruppe von Leuten, aber besonders mit einer jüngeren Person, jemand Unbestimmtem, freundlich und unterwürfig, ein anmutiger Schatten an meiner Seite. Wir entfernten uns von den anderen, um auf einer sandigen Klippe direkt am Meer ein Zeltaufzubauen. Es war eine wunderschöne Stelle, aber ehe wir fertig waren, hatte die Flut den Sand durchnässt, und das Zelt fiel in sich zusammen. Wir versuchten es ein Stück zu versetzen, mussten dann aber aufgeben. Dann gingen wir hinunter ans Wasser, ich und meine jüngere Begleitung. Die Wellen waren majestätisch und einladend, aber wir sprangen nicht hinein.«
    Es war halb sieben. Draußen in Maida Vale war die Winternacht hereingebrochen, sodass die schwarze Fensterscheibe Johns Spiegelbild zurückwarf. Er schaute sein geisterhaftes Bild an und wandte sich gleich wieder ab. Ich sollte auspacken, entschied er. Morgen gab es viel zu tun. Er übersprang ein Stück und las:
    »Die Frage allerdings, die ich in diesem langen und zweifellos unerwarteten Brief an Dich aufwerfen wollte …«
    Plötzlich neugierig geworden – denn von Krankheit war nirgends die Rede gewesen, schon gar nicht von bevorstehendem Tod –, griff John wieder nach der ersten Seite. Stand ein Datum drauf? Nein, der Brief begann einfach mit: Lieber John. Wo habe ich den Umschlag hingelegt? In der Eile hatte er ihn zu Boden geworfen. Er lag neben verstaubten Hausschuhen und einem Haufen Computerkabel. Der Poststempel war deutlich lesbar. 18. Januar. Er dachte nach. Das war der Tag nach seinem Tod. Aber jetzt sah

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