Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
Vom Netzwerk:
Augen. Eine Figur, die ich dringend brauche. Ein anmutiger Schatten . Wieso konnte der Mann nicht offen sprechen?
    »Ich komme sehr spät«, schrieb Elaine zurück. »Bleib lieber zu Hause.«
    John ging weiter. Er klingelte bei einer von vier Klingeln. Ein Mädchen namens Frances ließ ihn herein, und Elaines andere Mitbewohnerin, Nancy, war ebenfalls da und schaute sich gerade eine Debatte über Migrationsbewegungen an. Die beiden Mädchen saßen mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und stritten sich mit dem Fernseher. Ihre Präsenz war aufdringlich und feindselig. »Ich warte in Elaines Zimmer auf sie«, sagte er.
    Über ihrem Bett hingen Poster von Schauspielerinnen und Schauspielern. John kannte sie nicht, aber es war offensichtlich, dass sie für eine Rolle gekleidet waren. Sie gehörten nicht zu den Leuten, mit denen man sich einfach so treffen oder unterhalten konnte. »Elaine ist die Richtige«, murmelte er vor sich hin.
    Er zog die Schuhe aus und legte sich aufs Bett. Das Kopfkissen roch nach ihr. Er vergrub sein Gesicht darin. Halb im Unterbewusstsein hörte er, wie sich Frances und Nancy leise in ihrem Zimmer unterhielten. Er ließ seine Gedanken schweifen.Dann sprang er plötzlich im Stockdunkeln auf und rannte ins Zimmer seiner Mutter, die schweren steinernen Elefanten in der Hand. »Albert!«
    John setzte sich verwirrt auf.
    Von der Straße hörte er einen Dieselmotor im Leerlauf tuckern. Er ging ans Fenster; er fühlte sich schwach, ihm war leicht übel. Elaine stand im gelben Licht der Straßenlaterne neben einem Auto. Der Rock wehte ihr um die Beine. Lachend beugte sie sich ins Auto hinein. Er liebte ihre Art, zugleich unsicher und natürlich zu wirken. Liebte sie dafür, dass sie seine Bestätigung brauchte, immer wieder von ihm hören wollte, wie schön sie war.
    »Ich habe gewartet«, sagte er ins Dunkel hinein.
    »John!« Das Mädchen zuckte zusammen und machte schnell Licht. »Scheiße, hast du mich erschreckt! Ich habe doch gesagt, du sollst nicht kommen!«
    »Ich wollte dich unbedingt sehen«, sagte er. »Ich habe doch eine SMS geschickt.«
    »Mein Handy war aus«, gab sie scharf zurück.
    Sie schien unnötig lange im Bad zu bleiben. John wäre fast wieder eingeschlafen. Schließlich kam sie ans Bett, wandte sich aber gleich wieder ab. »Guck mal zu. In dem Stück ist eine Szene, die in Richtung Pantomime geht. Es gibt eine Riesenexplosion, und danach muss ich mich wie in Trance bewegen. Aber ich kriege es nicht hin.«
    Sie zog ihre Jeans aus und ging nur in Slip und T-Shirt in dem kleinen Zimmer umher. Sie schwenkte die Arme hin und her, berührte die Bücherregale. Ihr Gesicht glänzte vor Konzentration.
    »Du bist wunderschön«, sagte er zu ihr.
    »Schscht! Ich habe gerade eine furchtbare Explosion erlebt.«
    Sie suchte jetzt etwas, zuerst in der Ferne, dann in der Luft, dann unter ihren Füßen. Sie reckte sich, sie bückte sich. Sie verharrte reglos, dann machte sie ein paar unbestimmte Bewegungen. John litt. Es war kurz vor zwei Uhr morgens.
    »Mein Onkel hat übrigens auch ein Theaterstück geschrieben«, sagte er. »Als keiner es aufführen wollte, hat er sich umgebracht.«
    »Wie bitte?« Elaine unterbrach ihr Spiel.
    John lachte nervös. »Keiner wollte das Stück spielen, das von meinem Onkel, und dann gab es Krach mit seiner Freundin und meinem Großvater. Er hat sich umgebracht.«
    »O Gott, John! Wann denn?«
    »Noch bevor ich geboren wurde.«
    »Ach so. Und warum erzählst du mir das jetzt?«
    »Ellie, ich möchte dich wirklich heiraten«, sagte er. »Ich bin verrückt nach dir.«
    Das Mädchen runzelte die Stirn. »Du kannst nicht einfach so wahnsinnige Sachen sagen.«
    »Warum nicht? Es ist das, was ich fühle.«
    »Ich habe gerade diese Rolle gekriegt, John«, sagte sie leise. »Darauf muss ich mich konzentrieren. Es gibt eine Szene, in der alles in die Luft fliegt. Ich verliere mein Kind.«
    »Na, dann konzentrier’ dich doch! Ich unterstütze dich, wo ich kann.«
    »Jo, wir sind erst dreiundzwanzig!«
    »Vierundzwanzig«, sagte er. Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Wir sind erwachsen, oder etwa nicht? Es wird gut sein für unsere Arbeit, nicht hinderlich. Wir werden ein Team sein.«
    Sie stand neben dem Bett und wippte auf den Zehenspitzen. »Du hast mir noch nicht gesagt, wie du meine Pantomime fandest. Wenn ich mich so schnell bewege, dann soll das bedeuten, dass ich umhergewirbelt werde. Aber auch, dass ich meine Vergangenheit wieder erlebe. Guck, so.«
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher