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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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inbrauner Hose und blauem Hemd. »Brauchen Sie einen Fahrer, Sir?« »Hallo, hallo! Hotel, Sir, brauchen Sie ein Hotel?« Alle trugen schlichte Hosen und schlichte Hemden in Grau oder Braun. Alle nannten ihn »Sir«. Plötzlich war eine Frau da, deren Gesichtshaut sich in milchigen Flecken von den Wangen ablöste. Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich vor ihm. Ihre schlaffen Lippen konnten sich auch jederzeit ablösen, so schien es. Sie bettelte ihn mit ausgestreckter Hand auf Hindi an. John kämpfte sich durch die Flughafenhalle bis in den Außenbereich, wo er von der Hitze und dem Hupkonzert der Autos förmlich überwältigt wurde. Wie soll ich ein Taxi nehmen, fragte er sich, wenn ich keine Ahnung habe, wo ich hin will?
    Er schwitzte schon jetzt. Er musste die Antwort auf seine Nachricht abwarten. Er schrieb noch eine SMS: »Wo und wann können wir uns treffen?« Es gab keinen Platz, wo man warten konnte. Keinen Schatten. Dabei war es erst sieben Uhr morgens. Vielleicht war das Telefon ausgeschaltet. Ständig kamen Männer auf ihn zu. »Wasser, Sir?« »Snacks?« »Saft, Sir? Hallo!« Irgendjemand pfiff. Ich könnte anrufen, um es festzustellen, dachte er. Er wollte nicht anrufen. Er wollte nicht einer fremden Person am Telefon eine Erklärung geben müssen.
    Die braunen Taxis schoben sich Zentimeter um Zentimeter vorwärts, sie drängten sich auf den Vorplatz wie Tiere, die sich durch ein Tor zwängen. Eine Stimme rief: »Pa-tai-yei, ma-ti-alliyei!« Oder so ähnlich. Dann noch einmal. »Pa-tai-yei!« Es war ein Brüllen. »Mati-alli-yei!« Der Mann verkaufte etwas. John stand mit dem Rücken zur Wand und scheuchte alle, die zu ihm kamen, davon. Ein großer Mann trug drei Kisten auf dem Kopf. »Nein, danke. Nein, nein, vielen Dank.« Unglaublich, was für große Koffer manche Leute hatten. Ein Mann mit hellrotem Turban mühte sich mit einem schweren Karren ab, während eine alte Frau mit dickem, schmuckbehängtem Bauch nebenherging und pausenlos auf ihn einredete. Ein Hund schnüffeltean Johns Bein, ein unattraktiver Straßenköter. John muss warten.
    Dann vibrierte das Telefon. Eine Nachricht war eingetroffen.
    » JO! WO BIST DU? DU BIST DOCH NICHT ETWA NACH INDIEN GEFLOGEN? WIESO? «
    Es war die falsche Nachricht. Er las sie zweimal, schickte aber keine Antwort. Ich bin noch nicht bereit, zu antworten. Er hatte sich auch nicht bereit gefühlt, es Simon zu erzählen. Er hatte sich noch nicht einmal krankgemeldet. Die Reise hatte sich aufgedrängt. Ich muss nach Indien zurück. Er musste sich mit den Turbulenzen, die ihn ergriffen und ihm das Leben unmöglich gemacht hatten, auseinandersetzen. So etwas konnte man einem Grenzbeamten nicht erklären. Ich muss wieder normal werden, dachte er. Und er musste Elaine bestrafen. »Traditionelle wissenschaftliche Forschung kann nur aus einer Position des Stillstands heraus durchgeführt werden, von einer perfekten Warte aus, kurz gesagt, unter den allerkünstlichsten Bedingungen.« Das hatte sein Vater geschrieben. John hatte den Text im Netz gefunden. »Mit sterilisierten Handschuhen und einem klinischen Geist.« Johns Geist aber war ein tosendes Meer, ein Fluss, der alle Dämme gesprengt hatte.
    Während des Fluges hatte er eine Reihe von Träumen gehabt, die nur die Erinnerung an harte Arbeit hinterlassen hatten. Keine Bilder, keine Geschichten. Als er erwachte, waren seine Muskeln schlapp, und ihm tat der Rücken weh. Im Traum hatte er die ganze Nacht Karren geschoben und Kisten auf dem Kopf getragen, während der Airbus Europa, den Mittleren Osten, den Iran und Pakistan überquerte. Ich habe mich bemüht, es mir bequem zu machen, sagte sich John, habe geackert wie ein Tier, um in eine bequeme Position zu kommen. Jetzt strich schon wieder ein Hund um seine Füße. Noch ein Mischling. Alle Hunde in Delhi schienen ein und derselbe Hund zu sein, dachte er, alle sind Mischlinge, hager und nervig. Er schaute einer Frau nach, die einBaby vor der Brust und ein älteres Kind auf dem Rücken trug. Sie lief furchtlos zwischen den hupenden, drängelnden Taxis hindurch. Ein Fahrer kurbelte sein Fenster herunter, um auszuspucken.
    Gegen acht Uhr wurde John langsam aggressiv. Er wollte keine Nüsse. Er wollte auch keine frische Melasse. Ein Mann mahlte Zuckerrohr. Gleich werde ich jemanden schlagen, murmelte er. Ich sehe es kommen. Dann traf ihn selbst der Schlag, als ihm klar wurde, dass Elaine ihre Nachricht mitten in der Nacht geschrieben haben musste. In England ist es jetzt

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