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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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halb vier Uhr morgens. Er schaute zu, wie Europäer in Autos und Taxis verfrachtet wurden. Ein älterer Mann wurde ohnmächtig und musste auf seinen Koffer gesetzt werden. Elaine war zu einer Uhrzeit wach, zu der sie nicht wach sein sollte. Ein Sikh hielt ein Schild mit der Aufschrift MR TINOTY in die Höhe.
    Es wurde immer heißer; der Himmel war schmutzig und schmierig vor Hitze. MR TINOTY kam nicht. Der Sikh wartete geduldig. Dann kam eine Reihe von Frauen, die große flache Schalen mit Sand auf den Köpfen trugen. John bemerkte jetzt, dass links von ihm ein Baugerüst stand. Die Frauen liefen mit ihren Sandschalen, die auf Handtüchern auf ihren Köpfen ruhten, hin und her. Ihre bunten Saris starrten vor Schmutz. Und wenn ich auf meine Nachricht keine Antwort erhalte?
    Ein Druckluftkompressor fing an zu arbeiten, dann eine Bohrmaschine. Was würde Granny Janet sagen, wenn sie wüsste, wofür er ihr Geld ausgab? Der Bohrer grub sich in das Betonpflaster. Vater war immer stolz darauf, erinnerte sich John, dass er nie genau die Forschungen betrieb, für die er seine Fördermittel beantragt hatte. Immer etwas, das leicht davon abwich. Was für einen superblöden Brief er ihm geschrieben hatte! Geplagt, vielleicht auch gesegnet, von Träumen von Flüssen und Meeren . »Sie würden sowieso nicht verstehen, was ich eigentlich vorhabe«, hatte sein Vater lachend gesagt. »Aber er liefert immereinen Gegenwert für das Geld«, hatte Mutter jedes Mal hinzugefügt. Hat sie das wirklich geglaubt? Was für einen Gegenwert? Wenn ich so weit bin, werde ich sie überraschen, dachte John. Ich werde ohne Vorwarnung auftauchen, und dann sprechen wir uns aus. Um halb zehn ging er zum Taxischalter und beteiligte sich an der Schlacht um ein vorausbezahltes Taxi.
    »Connaught Place«, sagte er, als er dran war.
    John James ließ sich im inneren Kreis des zentralen Platzes der Stadt absetzen. Eine Weile schlenderte er an den Schaufenstern der luxuriösen Läden entlang, aber er war für diese Hitze zu warm angezogen. Ihm wurde klar, dass Hotels in dieser Gegend sehr teuer sein würden. Aufs Geratewohl bog er in eine der strahlenförmig vom Platz wegführenden Straßen ein und spazierte ungefähr eine Viertelstunde lang geradeaus. Er schaute in die nach rechts und links abgehenden Straßen, auf der Suche nach Hotelschildern, machte einen Bogen um die Bettler, die unter einer Eisenbahnbrücke saßen, und wedelte mit der Hand, um die Rikschafahrer abzuwehren.
    Warum laufe ich so weit? fragte er sich. Er war an Hotels vorbeigelaufen, ohne hineinzugehen. Warum? Er hatte den Eindruck, er müsse bald in Alt-Delhi sein, und ihm ging voller Schrecken auf, dass er eigentlich so gut wie nichts über diese Stadt wusste. Auch nicht über Indien an sich. Seine Schultertasche kam ihm inzwischen furchtbar unhandlich vor. Seine Jeans scheuerten im Schritt. Ich hätte nicht kommen sollen, dachte er. Wirklich normal zu werden hätte bedeutet, weiter im Labor zu arbeiten, in die altbekannten Gleise zurückzukehren. Aber das hatte er monatelang versucht. Er hatte versucht, Elaine zur Rede zu stellen. Sie musste die Nachricht mitten in der Nacht geschrieben haben, weil sie erst dann nach Hause gekommen war und seinen Zettel gefunden hatte. Dann wurde John klar, dass er in keins der Hotels gegangen war, weil er eigentlich gar nicht hier sein wollte. Er hoffte immer noch, das Ganze würde sichvermeiden lassen. Such dir lieber schnell ein Zimmer, sagte er sich, sonst wirst du noch ohnmächtig.

    »Hallo, Sir. Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«
    John war die Stufen von der Straße hinaufgestiegen. Das Govind Hotel lag im vierten Stock. Eine Frau zupfte gerade Blütenblätter von einem Stapel Blumen und legte sie in einer flachen Schale mit Wasser, die auf dem Empfangstresen stand, zu einem Muster zusammen. »900 Rupien pro Nacht«, sagte sie.
    John sah zu, wie sie ein gelbes Blütenblatt auf ihre Fingerspitze legte. Das Muster bestand aus einer Reihe konzentrischer Kreise. Ein Page führte ihn einen langen Flur entlang, dann um einen Treppenabsatz herum und ein paar Stufen nach unten. An der Tür waren ein Riegel und ein Vorhängeschloss. Das Zimmer war eng, vorwiegend braun, und durch das kleine Fenster, das auf eine Seitenstraße hinausging, sah man rissige Mauern, Motorräder und Handwagen. Es gab kein Toilettenpapier, sondern einen Schlauch, mit dem man sich im Sitzen säubern konnte. John duschte, streckte sich auf dem Bett aus und schloss die

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