Traeume von Fluessen und Meeren
ein Frauenname? John hatte sich da schon öfter geirrt. Gleich nach der Präsentation schaute er nach. Der erste Eintrag bei Google war ein Modegeschäft, dann eine Wohltätigkeitsorganisation. Er klickte eine Seite an: Ananya Discovering India. »Ananya bedeutet auf Sanskrit ›kein anderes‹, las er. ›Und Indien ist wie kein anderes Land,außergewöhnlich, unlegiert.‹« Unlegiert war ein seltsames Wort für eine Tourismusseite, dachte John. Was bedeutete es eigentlich genau? Nicht gemischt. Rein. Aber Indien war doch eine absolut bunte Mischung. Er klickte auf Bilder und fand Fotos von indischen Frauen. Ananya Chatterjee, Ananya Roy, Ananya Das. »Mit Ihrem Vater befreundet.« Auf welche Art befreundet?
John war bei der Präsentation für die Glaxo-Leute abgelenkt gewesen. Er hatte niemanden beeindruckt. Aber er schaffte es noch nicht mal, sich darüber Sorgen zu machen. »Ich fühle mich verschaukelt«, hatte er zu seiner Mutter gesagt, nachdem er vom Taj Mahal zurückgekehrt war. Wie kommt es, fragte sich John, dass man Dinge sagt, die man gar nicht sagen wollte, dass man Beschwerden vorbringt, die keinen Sinn ergeben, nicht mal für einen selbst? Wieso verschaukelt, in welcher Hinsicht? Aber so entstehen Gedanken, sie kommen, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Sie liegen einfach in der Luft.
Allerdings nicht in der Luft des Labors. Bei der Arbeit kamen ihm überhaupt keine neuen Ideen. »Du hast etwas mit diesem Hanyaki oder wie er heißt, stimmt’s?«, warf er Elaine vor. Er kam auf das Thema, gleich nachdem sie miteinander geschlafen hatten. »Ich spüre es, Ellie. Ich weiß, dass irgendetwas los ist.«
Elaine schwieg. »Wenn du mir nicht glaubst, wenn ich es abstreite«, sagte sie, »wozu soll ich dann überhaupt noch etwas sagen?« Dann fügte sie trocken hinzu: »Wenn du es genau wissen willst, ich schlafe mit allen Jungs aus der Truppe. Und mit den Mädchen auch. Hmmm, Schatz, wollen wir’s heute Abend mal zu dritt oder zu viert treiben?«
Tief im Innern wollte John einfach nur arbeiten. Aber es ging nicht. Vielleicht war tief im Innern gar nicht so tief. Jetzt, da er ein bisschen Geld hatte, gewöhnte er sich an zu trinken, wenn Elaine bei der Probe war. Er hatte immer ein paar Flaschen Bier im Haus, schließlich auch Whisky. Alles hatte mit Vaters Bestattung angefangen, dachte er. Die Mädchen waren da, eswurden gelbe Blüten gestreut, kurze Reden gehalten, aber die Zeremonie war vorbei, kaum dass sie begonnen hatte. »Eine Figur, die ich unbedingt brauche«, hatte Dad geschrieben. »Weil er/sie vielleicht …« Die Bestattung war irgendwie nicht angemessen, dachte John. Und bis dahin hat mir nichts gefehlt. »Albert war mein Leben«, sagte Mutter, »und ich seins«, und dann hatte sie sofort auf den Knopf gedrückt. Dad war zwischen dem Gold und dem Purpur verschwunden. »Waren Sie da, als mein Vater starb?«, schrieb er an Ananya. Drei Tage später antwortete sie: »Ich würde Sie gerne kennen lernen.«
Die Tage vergingen, und John wurde klar, dass es nur eine Frage der Zeit war. Es waren leere Tage. Er hatte Angst. Er arbeitete immer noch zwölf Stunden täglich im Labor, aber er war mit seinen Gedanken nicht mehr wirklich bei der Sache. Er traf sich immer noch fast täglich mit Elaine, und dann liebten sie sich, aber er war nicht richtig bei ihr. Du bist zum Einzelgänger geworden, dachte er. Dieser Japaner war doch mindestens zwanzig Jahre älter als Elaine.
Im Labor fragte ihn Simon, ob irgendetwas los sei; er habe einen Antrag gestellt, erklärte der Projektleiter, auf ein zusätzliches Forschungsstipendium: »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dich zu halten, John.«
Elaine erkundigte sich, warum er so distanziert war. Sie gab sich Mühe, besonders nett zu sein. Sie kaufte ihm Süßigkeiten und Kuchen. Wie die meisten jungen Männer mochte John sehr gerne Süßes. Er spülte alles mit Whisky hinunter. Sie versuchte, mit ihm zusammen über ihren Vater zu lästern, der jetzt angeboten hatte, ihr eine Wohnung zu kaufen, wenn sie sich endlich die sprichwörtliche ordentliche Arbeit suchte.
»Sie haben Angst vor jedem, der eine Berufung spürt«, sagte sie. »Vielleicht muss ich erst in die Dritte Welt flüchten, bevor sie mich ernst nehmen.«
John hörte zu, konnte aber nicht die Empörung aufbringen,mit der er ihr in der Vergangenheit beigepflichtet hatte. »Ich wüsste zu gerne, woran Dad gerade gearbeitet hat, als er starb«, sagte er versuchsweise. »Ich
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