Traeume von Fluessen und Meeren
Neuengländer, der ein paar Scheidungen hinter sich hat und sich junge Gespielinnen hält, denkt das natürlich.«
Paul beschloss, sie herauszufordern. »Nun ja, da war die Geschichte in Chicago mit der …«
»Albert wurde freigesprochen.«
Paul nippte an seinem Whisky. »Trotz der Tatsache, dass ein Dutzend anderer Männer, die das Mädchen ebenfalls beschuldigt hatte, alle gestanden haben?«
»Ja, trotz dieser Tatsache. Ich habe gleich gewusst, dass er es nicht getan hat.«
»Aber wie kannst du dir so sicher sein? Ein Versicherungsvertreter, der von Tür zu Tür geht, bringt ein Mädchen mit und bietet sie als Prostituierte an. Das war die Geschichte, oder? Dann, nachdem die Polizei sie erwischt hat, verpfeift er alle, die es mit ihr getrieben haben. Wie kannst du so sicher sein, dass Albert als Einziger von allen unschuldig war?«
»Ich bin sicher«, sagte Helen James kühl. »Ich kannte Albert von Grund auf. Und er wurde freigesprochen.«
»Wegen Mangels an Beweisen.«
»Was für Beweise hätte es schon geben können?« Helen schwieg einen Moment. »Du glaubst, ich mache mir Sorgen, dass du über diese Sache schreiben könntest, obwohl sie schon seit Jahren öffentlich bekannt ist? Nein, damit hat es nichts zu tun.«
»Also …«
Ein junger Mann kam eilig mit einer Viertelflasche Whisky und Wasser ins Hinterzimmer. Er setzte sich knapp einen Meter von Helen entfernt auf einen Hocker und schraubte den Verschluss auf. Ehe er sich einschenkte, legte er den Flaschenhals an die Wand und kippte die Flasche leicht, sodass ein paar Tropfen Whisky an den rohen Backsteinen herunterliefen. Paul zog eine Augenbraue hoch.
»Für die Götter«, sagte Helen lachend.
Der Inder lächelte, als wäre das ein Witz. Er goss die halbe Flasche in sein Glas und trank es sofort aus, dann machte er
noch einmal dasselbe mit dem Rest. Es dauerte keine fünf Minuten, dann war er fertig und auch schon wieder weg.
»Beeindruckend«, sagte Paul.
»Sie machen daraus ein kleines Ritual«, sagte Helen. »Albert hat zu gern beobachtet, wie die Leute trinken.«
»Was ist denn dann der Grund?«, fragte Paul.
Sie zuckte die Achseln. Sie hatte die langen Beine auf dem kleinen Hocker übereinandergeschlagen, und ihm war sehr bewusst, dass er es mit einer Frau zu tun hatte, die ihre Weiblichkeit immer noch auszuspielen wusste.
»Willst du denn nicht, dass die Leute mehr über Albert erfahren, dass sie seine Texte lesen?«
Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Vielleicht will ich nur nicht, dass du dieses Buch schreibst.«
Plötzlich beugte sie sich auf dem Hocker vor, geriet kurz ins Wanken und wäre beinahe auf ihn zu gefallen. Lächelnd ergriff er ihren Arm.
»Warum denn nicht?«
Sie schaute ihm direkt in die Augen. »Weil ich dich nicht mag, Paul.« Sie versuchte aufzustehen. »Ich mag dich überhaupt nicht. Du erinnerst mich an meinen Bruder: noch so ein Kotzbrocken, der unbedingt seinen Willen kriegen muss.«
Leicht schwankend stand sie auf und lief stolpernd an ihm vorbei auf die Straße.
DRITTER TEIL
Im Netz
14
»Ich bin da«, tippte er in sein Handy, während er noch in der Schlange vor der Passkontrolle stand. Es gab das übliche Gedrängel. John ließ die Leute schubsen. Schon jetzt war die Hitze beklemmend. Auch das Neonlicht war beklemmend. Sobald sich die Schlange innerhalb der Seile verlagerte, versuchten einige, die Kurven zu schneiden, indem sie eine Schulter vor ihren Vordermann schoben. Die reinste Schlacht, dachte er. Doch er war mit seinen Gedanken woanders. Er war mit seinen Gedanken beim Telefon, aber es kam keine Antwort.
»Wo werden Sie wohnen?«, fragte der Grenzbeamte, als John an den Schalter getreten war. John starrte ihn an. »Wo werden Sie wohnen, Sir? Sie haben auf Ihrer Einreisekarte keine Adresse angegeben.«
John wusste nicht, was er sagen sollte. »Bei meinen Eltern. In der Nähe der Lodhi Gardens.« Er gab die Adresse an.
»Sie waren erst vor drei Monaten hier, Sir.« Der Beamte blätterte in seinem Pass. »Was ist der Anlass Ihres Besuchs, bitte?«
»Mein Vater ist krank«, sagte John. »Er wird bald sterben.«
Der Beamte schaute ihm in die Augen. John verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
»Das tut mir sehr leid für Sie, Sir«, sagte der Mann und reichte ihm seinen Pass.
Jetzt ging John zum Ausgang. Er hatte kein Gepäck aufgegeben. Menschen zupften bereits an seinem Ärmel, man bot ihm Taxis, Hotels, Stadtrundfahrten an. »Sir!« Das war ein Mann
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