Traeume von Fluessen und Meeren
Jawabs? Wegen der Symmetrie. Warum um alles in der Welt hatte Dad ihn zum Taj Mahal geschickt? Gleich treffe ich mich mit einer Frau, die Dad gekannt hat, sagte er sich. Ich treffe mich mit ihr hinter dem Rücken meiner Mutter. Hinter dem Rücken meiner Freundin. Dieser Aspekt war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Als würde ich mit Elaine ein Kind bekommen, und in zwanzig Jahren würde dieses Kind eine Frau besuchen, die mich kannte, ohne darüber mit Elaine zu sprechen. Oder als würde der Sohn des japanischen Regisseurs Elaine besuchen, ohne seiner Mutter, der Frau des Regisseurs, davon zu erzählen. John lächelte. »Selbst Paranoiker kann man betrügen«, erinnerte er sich. Das hatte Dad einmal gesagt. Er hätte nie gedacht, dass er sich an so Vieles, was Dad gesagt hatte, erinnern würde.
Der Rikschafahrer fuhr ihn links am Fort vorbei, einen steilen Hang voller Obststände, Schweine und verdreckter Abflussrinnen hinunter. Eigentlich war es eine sehr angenehme Art der Fortbewegung. Das Fahrzeug hatte eine gute Federung, und das Kissen auf dem Sitz war dick. Er saß bequem. Die anderen auf der Straße mühten sich ab. Der Fahrer musste den Schwung der Pedale abbremsen, als es bergab ging und die Rikscha schneller wurde. Sie fuhren unter einer Autobrücke hindurch, unter der inmitten von Müll und Fliegen Menschen schliefen, dann hinunter zum verschmutzten Flussufer und schließlich zu der Brücke.
John erkannte sie jetzt wieder, er hatte schon Fotos davon gesehen: eine lang gestreckte Metall-Konstruktion aus zwei parallel verlaufenden, einspurigen Brücken, jede mit zwei Ebenen; auf den beiden unteren fuhren die Autos hin und her, über die oberen ratterten die Züge.
»Hier können Sie mich absetzen«, sagte John.
Der Fahrer wollte ihn nicht absetzen. »Wo möchten Sie denn hin, Sir?«
»Hier ist gut. Haben Sie vielen Dank.«
Es war zehn vor sechs.
»Möchten Sie die Brücke überqueren, Sir? Oder wollen Sie zu den Ghats? Sehr schön dort. Vijay Ghat. Raj Ghat.«
John zog seine Brieftasche hervor und gab dem Fahrer hundert Rupien. Das war viel zu viel. Er kletterte vom Sitz herunter. »Ich muss jemanden treffen«, sagte er.
»Ich warte hier, Sir. Vielleicht nehme ich zwei Leute mit, Sir. Sie und Ihren Freund, Sir.«
Statt ihn zum Gehen zu ermuntern, hatte das Geld den Mann nur noch hartnäckiger gemacht.
»Ich möchte nicht, dass Sie warten. Meine Freundin wird ein Fahrrad mitbringen.«
Der Fahrer weigerte sich zu gehen. Er zog seine Rikscha von der Straße auf das schlammige Ufer. In Johns Gedärmen grummelte es erneut. Er ließ den Mann am Ufer stehen und ging zu der Stelle an der Brücke, wo der Übergang für Fußgänger und Radfahrer anfing, der mit einem Eisengeländer von der Autospur abgetrennt war. Alles war aus altem schwarzem Eisen. Er biss die Zähne zusammen und hielt sich den Bauch. Sechs Meter unter ihm floss träge der braune, mit Abfall übersäte Fluss. Wie die Ratten schwammen Jungs in dem gelblichen Schaum auf der Wasseroberfläche. Das breite, melancholische Ufer gegenüber schien von dem lärmenden Hin und Her auf der Brücke abgetrennt zu sein. Was für eine Frau sie wohl ist?fragte er sich. Europäisiert? Mitte fünfzig? Mitte dreißig? Ein dicker Sikh schob einen kaputten Roller. Zwei muslimische Mädchen in Burkas gingen vorbei. Wem hatte Vater sein Handy gegeben?
»Sind Sie Mr. John?«
Er drehte sich um und erblickte ein nervöses, schmollendes Lächeln und glänzende, unregelmäßige Zähne. Ein Mädchen, noch ein Teenager, in weiten Hosen und weitem Oberteil hielt ihr Fahrrad an und stellte einen Fuß auf den Boden. »Ich bin Ananya. Kommen Sie, Sie müssen neben mir gehen.«
Sie stieg vom Rad und fing an, es auf die Brücke zu schieben. »Ich möchte nicht, dass wir gesehen werden«, sagte sie.
Er fragte nicht, warum, sondern lief neben ihr über die Holzbohlen. Sie war wesentlich kleiner als er, anmutig und flink. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Rikschafahrer ihnen folgte.
»Ich dachte, Sie wären älter«, sagte John.
Das Mädchen wandte sich ihm zu. Sie hatte ihr Haar zu einem schweren, schwarz glänzenden Zopf geflochten. Ihre Wangen waren rund und dunkel.
»Mr. Albert hatte viele junge Freundinnen«, sagte sie lachend.
Das Fahrrad war zwischen ihnen. Es war ein altmodisches Damenfahrrad. Ihre Hose und ihr Oberteil waren erbsengrün, dazu trug sie einen braunen Schal um den Hals. Ihre Hände am Lenker waren sehr klein. Der Verkehr donnerte über
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