Traeume von Fluessen und Meeren
geschickt, um zu sagen, dass er da sein würde. Sie erschien nicht, und es kam auch keine Antwort. Ihm war schwindlig von dem langen, heißen Tag, und er zahlte fünfzig Rupien für eine Flasche Wasser. Immerhin hatte sein Magen durchgehalten. Um halb acht kam er wieder im Hotel an.
»Jemand war hier, um Sie zu besuchen, Sir.«
An der Rezeption saß wieder die ziemlich tüchtige Frau neben der Schüssel mit den Blütenblättern. Wenn jemandvorbeiging, erzitterte das Wasser, und es bildeten sich große, farbenprächtige Spiralen.
»Es war eine junge Dame, Sir. Sie hat lange gewartet, dann ist sie gegangen.«
»Hat sie eine Nachricht hinterlassen?«
Die Frau lächelte über seinen Eifer. »Keine Nachricht, Sir. Sie hat gewartet, aber als Sie nicht kamen, ist sie weggegangen.«
Nach dem Duschen setzte sich John in seinem Zimmer an den winzigen Tisch unter dem Fernseher, der an der Wand hing. Er holte einen Stift aus seiner Tasche, schaute sich um und fand schließlich auch ein Blatt Papier: die Wäscheliste des Hotels. Er fing an, Notizen zu machen. Er schrieb ein paar Zeilen über die Hunde, die er gesehen hatte. »Es ist, als wäre es immer derselbe Hund«, schrieb er, »braun, dünn, schnüffelnd, scheißend und bettelnd.« Er schrieb den Namen Dinesh auf. Wieso warfen die Leute wertvolle Gegenstände in den Fluss, wenn sie wussten, dass andere sie wieder herausfischen würden? In all seinen Träumen hatte Dad Menschen am Wasser getroffen. Die Wellen waren majestätisch und einladend, aber wir sprangen nicht hinein .
Dann fing John an zu zeichnen. Ein Mädchengesicht. Er versuchte, sich an Elaines schiefes Grinsen zu erinnern. Das Grinsen und die Tatsache, dass es schief war, machten Elaine aus. Er konnte nicht gut zeichnen. Das Haar sah schrecklich aus. Dann zeichnete er einen Elefanten. Er kicherte und machte dann aus dem Rumpf eine fette Schlange. Jetzt alles mit komplizierten Strichen verbinden, entschied er. Er fing an, Verbindungslinien zwischen Mädchen und Elefant zu zeichnen, dann zwischen der Schlange und der Schrift. Es war eigenartig, die Wörter wie einen Teil der Zeichnung zu behandeln. Gegen zehn klingelte das Telefon. »Hier ist jemand für Sie an der Rezeption, Sir.«
19
Im Auto saßen Sharmistha, Heinrich und ein weiteres Paar, Priya und Rajit. Sie folgten Freunden in einem weißen Ambassador der Regierung, der zu schnell fuhr und immer wieder aus dem Blickfeld verschwand. Es musste oft telefoniert werden, um herauszufinden, wohin sie fahren mussten. Rajit saß am Steuer. Er war ein gemächlicher, umsichtiger Mann mit einem dünnen Schnurrbart. John saß hinten neben Sharmistha, die so klein war, dass er den geschniegelten, knochigen Heinrich über ihren Kopf hinweg gut sehen konnte. Der ältere Mann rauchte und lachte süffisant. Alle waren fröhlich, alle hatten schon etwas getrunken. Sie fuhren zur Party eines bekannten deutschen Architekten, der demnächst nach Europa zurückging. Niemand von ihnen kannte ihn persönlich, aber jemand aus dem Auto vor ihnen anscheinend schon. Der Ort lag südlich der Stadt. Die Straßen waren unbeleuchtet und chaotisch. »Es ist Freitagabend«, rief Sharmistha, »und mein blödes Buch ist fast fertig. Mein Gott, ich habe echt die Nase voll von Spinnen! Ich bin froh, wenn ich die Spinnweben los bin!«
Kaum waren sie auf der Party angekommen, wünschte John, er wäre nicht mitgegangen. Am Rande eines Slums aus Hütten fuhr das Auto durch eine Toreinfahrt in einer langen hohen Mauer. Völlig abgeschieden lag dahinter ein weitläufiger Rasen mit Bäumen und ein niedriges, geräumiges, weiß verputztes Haus. An einer Reihe von Tischen wurde von einem Dutzend Bediensteten in weißen Jacketts Essen und Getränke serviert,und ein DJ hatte auf einem kleinen Hügel Stroboskoplichter installiert und forderte die Leute auf, zu einem krachenden Mix aus Discomusik und orientalischen Klängen zu tanzen.
Sharmistha verschwand. Eine bunte Mischung aus Indern und Europäern tummelte sich auf dem Rasen und tanzte. John holte sich einen Teller und nahm sich von unterschiedlichen Speisen. Ihre Geschmäcker schienen gegeneinander und mit seinem Magen zu kämpfen. Vom Getränketisch holte er sich einen Gin Tonic, und danach noch einen. Es war eine warme Nacht. Es gab nicht genug Eis. Warum soll ich mich nicht betrinken, dachte er. Er versuchte, einem Inder mittleren Alters zu antworten, der ihm eine Frage gestellt hatte, aber es war unmöglich, die dröhnende Musik zu
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