Traeume von Fluessen und Meeren
die zwischen Körben mit Obst auf ihren Fersen saß. Sie hatte Limonen, Birnen, Äpfel und Früchte, die er nicht kannte, zu farbenfrohen Stapeln aufgeschichtet. Sie bediente gerade eine ältere Dame. Auf einem Karren neben ihr schlief ein junger Mann.
»Drei Bananen«, sagte John.
Motorräder bahnten sich einen Weg durch die Menge. Die Straße war eng. Die Verkäuferin verstand ihn nicht. Sie hatte einen Schirm aufgestellt, um ihre Ware zu beschatten. Der junge Mann wachte auf und sagte etwas. Da nahm sie ein großes Bündel Zwergbananen und hielt sie ihm hin.
»Nur drei«, sagte John noch einmal. Ihm kam der Gedanke, dass dieses ganze Drumherum in Indien ihm furchtbar lästig war. Er zeigte der Frau drei Finger, aber sie schüttelte den Kopf. Er musste handeln, musste direkt zu seiner Mutter, aber stattdessen versuchte er, Bananen zu kaufen, um seinen Magen zu beruhigen, der von den unzähligen Bakterien in diesem dreckigenLand vergiftet war. Wie sollte man in Indien irgendein Problem lösen?
Trotzdem hatte das alles auch etwas Faszinierendes: die Körbe, die gestapelten Früchte, der purpurrote Kreis auf der Stirn der Frau, ihre schmalen Handgelenke, die aus den Falten ihres Sari hervorstaken. Das Leben hier war so viel reicher und roher als das Leben in Maida Vale. Es ist wunderschön, dachte John plötzlich.
Der junge Mann auf dem Karren setzte sich auf und sagte in aggressivem Tonfall etwas zu der Frau. Er schien erbost zu sein. Um den Hals trug er ein Goldkettchen. John zog einen Hundertrupienschein hervor und bekam fünfundfünfzig Rupien zurück. Jetzt hatte er ein Dutzend grüne Bananen. Es war albern, aber er musste lächeln. Ich bin froh, abgelenkt zu werden, dachte er.
Er lehnte sich an eine Hauswand und war sofort umringt von Kindern, die die Hände ausstreckten. Er schüttelte den Kopf, aber sie ließen nicht locker. Es war schwierig, eine Banane abzupellen, zu essen und gleichzeitig die anderen festzuhalten, während so viele kleine Hände nach ihm griffen und an seiner Kleidung zupften. Er brach ein paar Bananen für sie ab, aber jetzt schüttelten sie die Köpfe. Keine Bananen! Sie wollten Geld. Eine Banane zerbrach in zwei Teile. John schubste die Kinder weg und lief zum Platz, wo die Autorikschas standen.
Anstatt die Adresse seiner Mutter anzugeben, ließ er sich zur Universität fahren. Mutter würde in der Klinik sein, fiel ihm ein, und er wusste nicht, wo die war. Er war erleichtert. Ich kann sie heute Abend in der Wohnung besuchen. Eine Nachricht traf auf seinem Handy ein. »Ich liebe dich, John. Warum bestrafst du mich?« Er bezahlte den Fahrer und fragte einen Passanten, wo das Zoologische Institut war. Man schickte ihn erst hierhin, dann dorthin. Die Straßen waren von Bäumen beschattet, und das Laufen hätte angenehm sein können, wenn es nicht so heißgewesen wäre. Dann erkannte er das Gebäude, in dem sie nach der Trauerfeier für seinen Vater gegessen hatten.
Die Bananen noch in Händen, fand er die Mensa, lehnte sich an einen Baum und beobachtete durch die Glastür die Studenten, die mit ihren Tabletts hin und her liefen. Wie schnell, dachte er, als ihm das Gespräch an diesem Tag wieder einfiel, wie schnell er das Interesse an seiner Arbeit verloren hatte, an Mikrophagen und Granulomen, Glykolyse und Pentose-Phosphaten. Er verspürte keinerlei Bedürfnis herauszufinden, ob es hier Kollegen gab, die in seinem Bereich forschten, womöglich gar in diesem Gebäude. Er wollte nicht wissen, wie ihre Labore ausgestattet waren. Als wäre ich gestern erst geboren worden, fiel ihm merkwürdigerweise ein.
John ging zum Eingang zurück, setzte sich auf die Stufen, aß eine Banane und schaute sich um. Studenten fanden sich in wechselnden Gruppen zusammen, fassten einander an, eine Hand am Handgelenk eines Freundes, in der anderen ein Telefon. Lachende Mädchen und Jungen. Alles war sehr vertraut. Was war mir eigentlich so wichtig an meiner Arbeit? fragte sich John. Einen Platz im Team zu haben vielleicht. Er arbeitete sehr gerne mit anderen zusammen, er tat sich hervor, aber auf rein sachlichen Gebieten: die Mikrochemie der Zelle, der Kampf zwischen Infekt und Immunsystem. Man arbeitet mit Menschen zusammen, um etwas anderes zu verstehen als einander. Es gab ein klar umrissenes gemeinsames Ziel: ein neues Medikament zu finden. Aber außerhalb des Teams interessierte er sich überhaupt nicht für mycobakterielle Tuberkulose. Die Menschen, die daran litten, kümmerten ihn nicht. Auch an
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