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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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der Stadt.«
    John hörte die Stimme des Deutschen im Hintergrund.
    »Ich hole Sie bei Ihrer Mutter ab. Gegen neun.«
    »Ich wohne nicht bei meiner Mutter.« Er gab ihr die Adresse des Hotels. Ganz in der Nähe der Bhavbhuti Marg.
    »Aber warum denn das?«
    »Ich bin nicht gekommen, um meine Mutter zu besuchen«, sagte John sachlich.
    »Wie interessant. Warum denn dann?«
    John zögerte. »Das ist ein bisschen kompliziert.«
    Dinesh schaute ihn an. »Möchten Sie eine Zigarette?«, fragte er.
    John nahm an. »Was ist eine Farmhouse-Party?«, erkundigte er sich.
    »Eine Art nächtliches Gartenfest für die Reichen und Schicken«, sagte Dinesh. »Ich hasse so etwas.«
    John verbrachte den Nachmittag mit Spazierengehen. Er musste entscheiden, was er tun wollte. Als die Hitze unerträglich wurde, fuhr er ein paar Stationen mit der U-Bahn, denn die war klimatisiert. Es war ihm egal, wo er war, er erkundete einfach die Straßen, so als könnten sie eine Antwort auf seine Frage bereithalten. Das Kabelgewirr an den Telegrafenmasten, die bunte Mischung aus Ladenschildern, die Schulmädchen, die sich in Autorikschas zwängten, all das erregte seine Aufmerksamkeit wie nie zuvor.
    In der Nähe des Bahnhofs von Alt-Delhi erhielt er eine weitere Nachricht von Elaine: »Denke gerade daran, wie wir im Cam nackt gebadet haben. Muss immer noch heulen.« John ging in einen Stoffladen und gab innerhalb von fünf Minuten fast dreitausend Rupien für ein Tuch aus reinem Paschmina aus. Er antwortete ihr nicht. Sie hat gut daran getan, mich nicht zu heiraten. Das Tuch war blasslila mit Goldstickerei. Vielleicht hatte er zu viel bezahlt. Es würde wunderbar zu ihrem krausen schwarzen Haar und ihrem kamelienfarbenen Teint passen. Er konnte es sich gar nicht leisten. Er verstand nicht, was ein Mädchen wie Elaine von einem Mann wollte, der so alt war wie Hanyaki. Vielleicht ging es ihr nur um die Rolle in dem Stück. Vielleicht war sie einfach gerissen. Erst jetzt bemerkte er, dass er die Bananen nicht mehr hatte.
    Nach einer weiteren U-Bahn-Fahrt und einem weiteren langsamen Spaziergang in der stickigen Luft fand er sich am Fluss wieder, auf dem Gelände eines Tempels. »Sir!« Ein schlaksiger Junge bot sich als Führer an. »Sir, Sir!« John wandte sich mehrmals ab. Er kletterte die schlammige Böschung hinunter und schaute zu, wie Männer von einer niedrigen Mauer in der Nähe des Schleusentors eines Staudamms ins Wasser sprangen. Es war ein hoher Damm. Der Junge folgte ihm. Das Wasser brodelte und schäumte. Es waren drei oder vier Schwimmer. Sie liefen barfuß über die Steinmauern zwischen den Schleusentoren und sprangen dann ins Wasser.
    »Die Leute werfen Sachen ins Wasser, als Glücksbringer«, erklärte ihm der Junge; »wenn Verwandte sterben, zum Beispiel, dann werfen sie vielleicht einen Ring oder ein Schmuckstück von dem Toten in den Fluss, von der Brücke dort.« Er zeigte mit dem Finger. »Die Männer da drüben tauchen, um die Sachen zu finden.«
    »Ärgern sich die Leute, die die Sachen hineinwerfen, nicht darüber?«, fragte John. Kaum hatte er es gesagt, wurde ihmklar, dass er einen Vertrag geschlossen hatte und bezahlen musste.
    »Ärgern?«
    »Sind sie nicht wütend?«
    »Warum wütend?«, fragte der Junge. »Wenn ein Ding ist im Fluss, ist im Fluss. Man kann rausholen.«
    John schaute zu. In Shorts sprangen die Männer in das sprudelnde Wasser und tauchten etwa zwanzig Meter weiter unten wieder auf. Sie wurden von der Strömung mitgerissen. Er stellte sich vor, wie ihre Finger im brodelnden Dunkel über den schlammigen Grund tasteten. »Das ist Wahnsinn«, sagte er. Der Junge war ernst: »Schwimmen hier sehr gefährlich, Sir. Manchmal sterben sie. Aber sie sind kühl bei heißem Wetter!«
    John erinnerte sich an den Abend, als sie nach einer Party im Cam nackt gebadet hatten. Elaine hatte eine Gänsehaut, aber sie sah sehr schön aus, als sie ins Wasser sprang. Auf Zehenspitzen stand sie auf der Böschung und streckte die Arme aus, sodass ihre Brüste sich spitzten. Es war einer ihrer schönsten Momente zusammen gewesen. Ich ging mit deiner Mutter am Fluss spazieren, hatte sein Vater geschrieben. Aber es war kein Wasser da, nur Schlamm. Ich habe nichts von Vater, das ich ins Wasser werfen könnte, dachte John. »Besorg mir eine Rikscha«, sagte er zu dem Jungen. »Bring mich zur Eisenbahnbrücke.«
    Von halb sechs bis sieben wartete er auf Ananya, an der Stelle, wo sie sich getroffen hatten. Er hatte ihr eine SMS

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