Traeume wie Samt
Toast. »Du spionierst in meiner Privatsphäre.«
»Ich mache mir Sorgen um dich, Harry. Du neigst zum Grübeln.«
»Ich ›grüble‹ nicht. Ich versenke mich eingehend in ein Thema, wenn ich nachdenke. Das ist ein Unterschied.«
»Nenne es, wie du willst.« Josh schob eine Brotscheibe in den Toaster. »Ich kenne dich besser als du denkst.«
»Diese Möglichkeit läßt mir das Blut in den Adern gefrieren.«
Josh riß unschuldig die Augen auf. »In meinem Herzen hege ich nur die besten Absichten.«
»Das tröstet mich.«
»Molly Abberwick scheint nett zu sein.«
»Das ist sie.«
»Du bist gestern abend früh zurückgekommen, nachdem du sie nach Hause gebracht hast.«
»Ja.«
»Siehst du sie bald wieder?«
»Nun«, gestand Harry, »ich gehe morgen abend mit ihr zum Essen aus, wenn es dich interessiert.«
»Aha. Vergiß nicht, die Schachtel mit den Kondomen in das Nachttischchen zurückzulegen.«
Harry faltete die Zeitung mit übergroßer Genauigkeit zusammen. »Gestern abend hast du gesagt, daß du mit mir reden willst. Stimmt etwas nicht?«
Der belustigte Ausdruck in Joshs Augen verschwand. »Es geht um Großvater.«
»Schon wieder?«
»Ja. Er hält mir Vorträge, weil ich im Herbst an die Universität zurück will. Er hält es für Zeitvergeudung. Zwei Jahre Uni seien genug für einen Trevelyan … Er will, daß ich mit ihm an den Boxen arbeite.«
»Das kommt mir bekannt vor.«
Josh bestrich eine Scheibe Toast mit Butter. »Ich habe mir überlegt, ob du nicht mit ihm sprechen könntest. Bring ihn dazu, daß er mich versteht.«
Geistesabwesend blickte Harry in die Wolken, die über die Elliot Bay zogen. »Ich rede mit ihm, aber ich kann dir nicht versprechen, daß er seine Meinung ändert, Josh, das weißt du. Er sitzt in einer Zeitkrümmung fest.«
»Ja, aber auf dich wird er hören. Ich sage mir immer wieder, daß es egal ist, was er denkt. Ich werde die Uni abschließen und mein Diplom machen. Ganz gleich, was er davon hält.« Josh zuckte mit den Achseln. »Aber manchmal setzt mir der alte Mann verdammt zu.«
»Ich weiß.«
»Wenn Dad noch lebte, wäre alles anders. Der Druck würde nicht nur auf mir lasten. Doch so, wie die Dinge stehen, ist Großvater der einzige, der mir geblieben ist.«
Harry sagte nichts. Im Gegensatz zu Josh machte er sich diesbezüglich keine Illusionen. Er wußte, daß nicht weniger, sondern mehr Druck auf Josh lasten würde, wenn sein Vater noch lebte. Doch Wild Willy Trevelyan, tollkühner Motorradstuntman, Frauenheld und inoffizielles Vorbild für jeden echten Macho, war tot. Er war vor sieben Jahren ums Leben gekommen, als er versucht hatte, mit seiner hochfrisierten Maschine über einen Berg von in Flammen stehenden Autos zu springen. Tausend Zuschauer, darunter sein zwölfjähriger Sohn Josh, waren Zeuge der Explosion gewesen, die den Motor der Maschine zerrissen und Wild Willy getötet hatte. Josh hatte unter Schock gestanden. Keiner in der Familie hatte gewußt, was zu tun war, denn Joshs Mutter war kurz nach seiner Geburt bei einem Scooterbahn-Unfall ums Leben gekommen. Sein leichtsinniger, verbitterter Großvater wäre keine geeignete Bezugsperson für den jungen, traumatisierten Josh gewesen. Die meisten anderen Trevelyans hatten zu wenig Geld, um einen weiteren Esser aufzunehmen.
Harry, erst vor kurzem im Nordwesten eingetroffen, hatte sich ebenfalls in jener Zuschauermenge befunden. Er hatte den betäubten, stumpfen Blick in Joshs Augen gesehen. In den Monaten nach dem Tod seiner eigenen Eltern hatte Harry in seinen Augen denselben Ausdruck erkannt, wann immer er in einen Spiegel geblickt hatte. Also hatte er Josh nach dem Begräbnis zu sich nach Seattle genommen. Die Familie hatte keine Einwände gegen diese Entscheidung erhoben. Alle waren zutiefst erleichtert gewesen, daß Harry sich um den Jungen kümmerte. Schließlich, am Ende des ersten gemeinsamen Sommers, hatte Josh sich von seiner Trauer erholt. Aber es gab niemanden, zu dem er hätte gehen können. Der Herbst kam, und Harry meldete ihn an einer Schule in Seattle an. Daß Josh hochintelligent war, hatte er sehr schnell erkannt. Unter seiner Anleitung entwickelte er eine Leidenschaft für Mathematik und Naturwissenschaften. Die Verantwortung für den jüngeren Cousin gab Harry den dringend benötigten Lebenssinn zurück. Das Zusammensein mit Josh war zu einer vertrauten Routine geworden, und ihr gemeinsames Leben verlief mehrere Jahre lang erstaunlich angenehm.
Dann, eines Tages, kurz nach
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