Traeume wie Samt
einige Sekunden nach. »Er könnte sich im Wald versteckt haben, um die Hütte zu beobachten. Dort wartete er ab, ob jemand kommt und nach Beweisen sucht. Oder es gibt einen Komplizen in Icy Crest, der für ihn die Kleinarbeit macht. Vielleicht der gute alte Pete oder Shorty. Oder einer der Männer, die vor dem Krämerladen standen, hat Kendall benachrichtigt, daß Fremde nach ihm gefragt haben.«
Molly blickte nachdenklich. »Das würde bedeuten, daß er ein Telefon bei sich hat.«
»Handys sind heutzutage nichts Besonderes mehr.«
Molly verzog das Gesicht. »Du hast auf alles eine passende Antwort, nicht wahr? Tatsache ist doch, daß die Leute von Icy Crest Kendall als unheimlichen Kauz abgetan haben. Ich glaube nicht, daß er sehr beliebt war.«
»Selbst unheimliche Käuze besitzen Geld. Gegen Bezahlung könnte jemand in der Stadt bereit gewesen sein, ihn mit Informationen zu versorgen.«
Molly runzelt die Stirn. »Wharton Kendall hat nicht viel Geld. Besäße er genug, würde er sich nicht bei der Abberwick-Stiftung um finanzielle Unterstützung bemühen.«
»Ich glaube nicht, daß mehr als fünfzig Dollar nötig wären, um einen dieser Männer von Petes Laden in Versuchung zu führen. Verdammt, für fünfundzwanzig Dollar und ein Hemd würde Pete wahrscheinlich seine eigene Mutter verkaufen.«
»Du könntest recht haben. Verflixt, diese Geschichte wird immer komplizierter, nicht wahr? Es könnte noch eine ganze Weile so weitergehen.« Molly verstummte.
Harry verstand und sagte nichts. Für ihn war es normal, endlose Stunden in Gedanken versunken zu verbringen, und er kannte Molly nun lange genug, um zu wissen, daß sie ebenfalls oft nachdachte. Aber der abwesende Ausdruck in ihrem Gesicht beunruhigte ihn. Bevor sie nach Seattle zurückkehrten, mußte er über einen wichtigen Punkt mit ihr sprechen. »Molly?«
»Hm?«
Harry umfaßte das Lenkrad fester. Er mußte behutsam vorgehen. »Eine Sache hat dieser Vorfall heute geklärt. Du wirst definitiv bei mir wohnen, bis alles vorbei ist.«
Molly wirkte verblüfft. »Woher wußtest du, daß ich darüber nachdachte, in mein eigenes Haus zurückzukehren?«
»Weil ich deine Gedanken lesen kann«, gab er zurück, irritiert über ihre Ungläubigkeit.
»Meine Gedanken lesen?« Sie warf ihm ihr strahlendes, augenzwinkerndes Lächeln zu. »Ah, richtig. Das berüchtigte Zweite Gesicht der Trevelyans.«
»Es war ein Scherz, Molly.«
»Ich weiß.« Ihr Lächeln verschwand. Sie berührte seinen Arm leicht. »Ich wollte dich nur aufziehen.«
Harry wählte den logischen, wohlüberlegten Weg. Darin war er am besten. »Du würdest dich sicherer fühlen, und ich brauche mir sehr viel weniger Sorgen machen, wenn du bei mir bliebst, bis wir Kendall gefunden haben.«
»Das kann eine Weile dauern. Und was geschieht, wenn du ihn nicht findest? Wenn er einfach verschwunden ist?«
Die Konsequenz, die diese Frage aufwarf, raubte Harry den Atem. Eine Fantasie blitzte in ihm auf, die schon länger im Hintergrund wartete. Wenn Molly nun für immer zu ihm käme? Natürlich würde er Kendall eines Tages finden. Der Mann war zu nachlässig und zu unsystematisch, um spurlos zu verschwinden. Harry würde ihn ausfindig machen und dafür sorgen, daß er Molly nie wieder belästigte. Und wenn Molly nicht auszog? »Wäre das ein Problem?« fragte er leise.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah angestrengt auf die Straße. »Wie ich schon sagte, bevor wir durch den blauen Ford unterbrochen wurden: Ich kann nicht ewig bei dir bleiben.«
»Warum nicht?«
»Ausgerechnet du mußt mich das fragen, Harry? Zu Beginn unserer Beziehung warst du doch darauf bedacht, mir zu beweisen, wie wenig Gemeinsamkeiten wir besitzen.«
»Du hast der Liste ebenfalls einige Dinge hinzugefügt«, erinnerte er Molly. »Etwas über Möhren und Karotten. Vielleicht haben wir beide die Unterschiede zu wichtig genommen. Dort, wo wir Gemeinsamkeiten besitzen, scheinen wir gut miteinander zu harmonieren.«
Molly wandte rasch den Kopf und sah ihn an. Er konnte die intensive Neugier und die sensitive Bewußtheit spüren, die von ihr ausgingen. Angestrengt suchte er nach logischen, vernünftigen Worten, die sie davon überzeugen würden, daß es der richtige Entschluß für sie war, bei ihm einzuziehen. Aber in diesem entscheidenden Augenblick ließ ihn sein hervorragend arbeitender Verstand im Stich. Harry konnte keinen Druck auf Molly ausüben. Ihm blieb nur, sie zu bitten.
Fragen? Bitten? Hoffen? Das
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