Traeume wie Samt
war nicht sein Gebiet. Er würde sich hüten, das Risiko einzugehen, andere um etwas zu bitten. Was zum Teufel war los mit ihm? Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schock. Was er in diesem Augenblick erlebte, während er auf Mollys Antwort wartete, war ihm wohlbekannt. Es ähnelte dem Gefühl in jener Nacht, als er im Strudel seiner tiefen Konzentration gefangen und Molly in jungfräulichem Weiß zu ihm gekommen war. Harry fühlte sich auf eine Weise verletzlich, die er nicht verstand. Eine furchterregende Empfindung.
»Einige Tage bei dir zu bleiben ist eine Sache«, sagte Molly sanft. »Für immer würde bedeuten, daß wir zusammenleben.«
Ja, das bedeutet es, dachte Harry. Du würdest jede Nacht in meinem Bett liegen. Und morgens beim Frühstück sitzt du mir gegenüber.
»Nun …«
»Nur bis wir Wharton Kendall gefunden haben und mit ihm fertig sind«, sagte Harry.
»Also gut. Wenn du sicher bist, daß du es wirklich willst.«
Ich will nicht, ich muß, schoß es Harry durch den Kopf, der noch immer von seiner Entdeckung wie betäubt war. »Es ist die einzige vernünftige Entscheidung«, sagte er laut.
»Richtig. Es ist vernünftig.«
Am nächsten Morgen trat Harry im einunddreißigsten Stock aus dem Fahrstuhl des Bürohochhauses in der Innenstadt. Die massiven, glänzenden Messingbuchstaben an der Wand gegenüber der Fahrstuhlfront formten den Firmennamen, der die Strattons zu einer der einflußreichsten Familien in Seattle gemacht hatte.
STRATTON PROPERTIES INC.
IMMOBILIEN
INDUSTRIEANLAGEN UND
BAUENTWICKLUNG
Er wandte sich nach rechts und ging über den mit dickem Velours ausgelegten Korridor zum Empfangstisch. Dort sah eine etwa zwanzigjährige, klassisch gekleidete, attraktive Frau lächelnd auf. Sie erkannte ihn sofort. Harry erschien nicht oft in der Verwaltung von Stratton Properties, aber das Personal kannte ihn vom Sehen. Gewöhnlich hinterließen seine Besuche einen bleibenden Eindruck.
»Guten Morgen, Mr. Trevelyan. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Morgen, Verna. Würden Sie meinem Großvater bitte ausrichten, daß ich ihn für einige Minuten sprechen möchte?«
»Sicher.« Verna drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch. »Mr. Stratton?«
»Was ist, Verna?« Parker Strattons Stimme klang rauh vom Alter, hatte aber nichts von ihrer Autorität verloren.
»Mr. Trevelyan ist hier und möchte Sie sprechen.«
Es folgte eine kurze Pause. Kurz darauf ertönte mit dumpfem Grollen Parker Strattons Stimme durch die Sprechanlage zurück. »Sagen Sie ihm, daß ich beschäftigt bin. Geben Sie ihm einen Termin für nächste Woche.«
Mit einem freundlichen Nicken trat Harry an dem Tisch vorbei. »Danke, Verna. Halten Sie alle Anrufe zurück, bis ich fertig bin.«
»Aber Mr. Trevelyan«, rief Verna ängstlich. »Mr. Stratton sagte, daß er im Augenblick beschäftigt sei …«
»Viel kann er nicht zu tun haben. Er hat sich offiziell zur Ruhe gesetzt.« Harry bog um die Ecke und ging an einer geschmackvoll arrangierten Vitrine mit Glaskunst vorbei, die eine ganze Wand einnahm. Ohne anzuklopfen, betrat er Parkers Büro.
Der saß, einen Goldfüllhalter in der schwieligen Hand, hinter seinem Schreibtisch. Ein Finger lag noch auf dem Knopf der Gegensprechanlage. Er warf Harry einen zornigen Blick entgegen. »Du besitzt die ungehobelten Manieren eines Trevelyan.«
»Ich bin ein Trevelyan.« Harry schloß die Tür und nahm sich einen Stuhl. »Zu deinem Pech bin ich außerdem ein Stratton.«
»Ich nehme an, daß du nicht in mein Büro eingedrungen bist, um mit mir über Stammbaumfragen zu diskutieren. Was willst du?«
»Ich bin hier, um über Brandons Plan zu reden, ein eigenes Unternehmen aufzubauen.«
»Teufel auch.« Parker warf seinen goldenen Füllhalter zur Seite. »Ich wußte, du würdest dich früher oder später in dieses Fiasko einmischen. Hat Danielle dir etwas vorgeweint? Oder war es Olivia?«
»Ich habe mit beiden gesprochen. Und mit Brandon auch.«
»Was zum Teufel ist nur los mit dir, Harry? Was kümmerst du dich immer wieder um Familienkram wie diesen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, daß ich auch zur Familie gehöre.« Harry streckte die Beine aus und betrachtete seinen Großvater.
Vor einigen Jahren, mit siebzig, hatte Parker Stratton sich widerstrebend vom Tagesgeschäft zurückgezogen und Stratton Properties seinem Sohn Gilford überlassen. Doch nichts – sah man vom Eingreifen Gottes ab – würde Parker daran hindern, jeden Tag ins Büro zu
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