Träume(h)r (German Edition)
studentische Freundschaften aufrecht erhalten, was seinem Bekanntheitsgrad nicht gerade gut tat.
Seine Augen betrachteten monotone Gestalten. Viele Hemden und Blusen, viele modische Designer-Brillen mit Sehstärken zwischen plus und minus 0,75 Dioptrien und zu guter Letzt viel Erwartung in vielen Gesichtern.
Marc erschrak. Er begriff augenblicklich, dass sie auf ihn warteten. Schon seit zwei Minuten stand er auf der Bühne und hatte kein Wort gesagt. Mühselig versuchte er nun mit der Vier-Finger-Hand einen Zettel aus der Gesäßtasche seiner Jeans zu ziehen.
Es war sein Vortrag. Der Vortrag, den er für diesen Moment vorbereitet hatte. Der Vortrag, der für einen ehrlichen Söring geschrieben war.
Um seinem Professor einen Gefallen zu tun, wollte Marc den Studenten genau das erzählen, was er sich auf dem kleinen, karierten Zettel zusammengereimt hatte. Zahlreiche Lügen, die bekräftigen sollten, dass ihm das Studium bei seiner Geschäftsidee irgendwie geholfen hatte. Er tat dies einfach nur aus dem Grund, weil Söring so ein sympathischer Professor gewesen war, aber diese Tatsache gehörte seit kurzem der Vergangenheit an. Nun stand der Typ links von Marc in einer unbeleuchteten Ecke des Saales und nickte ihm voller Zuversicht zu. In diesem Moment wollte Marc die Aura aus Selbstsicherheit und Arroganz untergehen sehen. Er entschied für sich und alle Anderen in dem Raum, dass dieser erfolgshungrige Heuchler nicht mehr als die bittere Wahrheit verdiente. Er entschied sich dafür Söring mit seinem eigenen Hummer H2 zu überrollen.
Marc hörte auf, an seiner Hosentasche zu zerren.
»Guten Morgen!«, sagte er mit einem langgezogenen O in das Mikrofon. Einige Studenten lachten auf und Marc wartete bis wieder vollkommene Stille einkehrt war.
»Die Meisten von euch kennen mich nicht und die Leute, denen mein Gesicht bekannt ist, sehen es selten, denn ich bin wirklich nicht oft hier. Es liegt nicht daran, dass ich nebenher Firmen gründe, Apps entwickle oder zusätzlich Medizin studiere. Nein, ich habe einfach keine Lust jeden Morgen früh aufzustehen. Für mich reicht es vollkommen zweimal die Woche in der Uni zu sein!«
Er startete mit einem guten Tempo und als Marc zum ersten Mal Luft holen musste, konnte er bereits vereinzelt Gesichter in den Reihen des Audimax ausfindig machen, die etwas verstört wirkten.
»Also ich bin wie schon gesagt wurde, Marc Fröhlich, und ich habe die App »Boss Beeper« ins Leben gerufen. Das hört sich gar nicht so kompliziert an, oder? Ist es auch nicht. Die notwendigen Zutaten dafür sind ein langweiliger Job und ein nerviger Chef. Mehr braucht ihr nicht. Hinzukommend noch Freunde, die wirklich etwas von dem verstehen, was sie studieren, und eine Priese Geschäftssinn. Falls ihr letzteres nicht habt, dann verweise ich noch einmal auf das Kapitel Freunde!«
Jetzt blickten nicht nur vereinzelt Kommilitonen entgeistert umher, sondern alle Studenten im Vorlesungssaal starrten mit fassungslosen Gesichtern hinunter zur Bühne.
»Natürlich braucht ihr noch die zündende Idee für so eine App, aber das ist Glückssache oder vielleicht sogar eine Art Talent. Wie auch immer man es nennen will. Ich laufe garantiert nicht täglich mit dem Gedanken durch die Welt eine neue App, Internetseite oder ein innovatives Unternehmen zu gründen. Erzwungenes Glück funktioniert meiner Meinung nach nicht, aber es kann natürlich sein, dass es bei euch trotzdem klappt. Jedenfalls hätte ich hierfür niemals Betriebswirtschaftslehre oder Wirtschaftswissenschaften im Allgemeinen studieren müssen. Ein Theologie-Studium hätte es gewiss auch getan. Nur das Smartphone hier war wichtig«, er hielt es demonstrativ in die Luft, »An dieser Stelle einen herzlichen Dank an meine Großmutter, denn ohne sie könnte ich das Gerät heute, hier nicht präsentieren. Gibt es ansonsten noch etwas zu sagen?«
Seine rhetorische Frage hallte an den Wänden des Audimax, wie das Rauschen einer Welle, wider.
»Ach ja, seid gierig, seid gefrässig und nutzt die Ellenbogen, denn kein Gefühl ist befriedigender, als den eigenen Ellenbogen in den Rippen eures Mitstreiters zu spüren. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Ich würde gerne etwas mehr Zeit mit euch verbringen, aber ich muss los. Ein paar Firmen aufkaufen, Menschenrechte verletzen und so weiter. Ihr kennt das Geschäft!«
Mit diesen Worten beendete Marc seinen Vortrag und verließ die Bühne nicht, ohne zuvor Söring gegenüber die Geste eines Revolverhelden,
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