Träume(h)r (German Edition)
um aufzutauen, nachdem der Inhalt von Marcs Worten ihn, wie flüssiger Stickstoff, sekundenlang schockgefroren hatte. Zwar unterhielten sich die Beiden regelmäßig über ihre Antipathie gegenüber dem Studium, aber bislang hatte keiner von ihnen Ernst gemacht. Nur leere Worthülsen.
»Mann, ist das dein Ernst? Das war unsere letzte Klausur und jetzt willst du es durchziehen? Uns steht nur noch die Masterarbeit bevor. Kannst du dich nicht daran erinnern, wie oft ich vorgeschlagen habe es zu tun?«
Marc konnte sich sehr wohl erinnern und er wusste auch, dass Ole es niemals ohne ihn durchgezogen hätte, das Studium zu quittieren, denn genauso wie er, brauchte auch sein Kumpel einen Schlüsselmoment beziehungsweise jemanden, der ihn von der Klippe stieß oder zumindest mitzog.
»Jetzt kommst du mit der großen Eingebung! Warum nicht gleich einen Tag vor Abgabe unserer Masterarbeit?«
Ole war sichtlich verstimmt. Einen rebellischen Vortrag vor den Kommilitonen im überfüllten Audimax abzuhalten war eine Sache, aber daraufhin überstürzt das Studium abzubrechen eine völlig andere.
»Hör mir zu Ole!«
Marc versuchte ein paar klärende Worte zu finden.
»Söring hat mir heute die Augen bis zum Anschlag geöffnet, sogar die Augenlieder herausgeschnitten, wenn du es noch konkreter haben willst. Ich kann also nicht mehr nicht sehen. Das Studium gefiel dir noch nie und wir sind uns darin beide einig, dass wir schon vor sieben oder acht Semestern hätten abbrechen sollen. Trotzdem können wir noch alles in unsere Hände nehmen. Noch!«
Ole registrierte, dass Marc nicht von sich allein sprach, sondern ihn mit einbezog, aber trotzdem nahm er ihm nicht den Wind aus den Segeln.
»Solange wir ratlos darüber sind, was wir mit unserer Zukunft anfangen sollen, stehe ich finanziell für uns gerade. Sieh dein Leben als All-Inclusive-Urlaub, der endet, sobald wir das Richtige für uns gefunden haben!«
Ole zeigte keine Reaktion. Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert und ließ Marc nicht einmal ansatzweise erahnen, was in seinem Kopf vorging.
»Denk aber bloß nicht, dass ich jedem von uns einen Ferrari kaufe und wir für den Rest unseres Lebens gegeneinander Rennen fahren!«
Oles Mimik rührte sich wieder nicht. Marc sah bereits seinen Versuch ihn überzeugt zu haben als fehlgeschlagen, da der Witz nicht die geringste Wirkung gezeigt hatte, als nach einem sekundenlangen, peinlichen Schweigen die Mundwinkel seines Gegenübers plötzlich nach oben schnellten und Oles Mund ein mit weißen Zähnen besetztes Lächeln zeigte.
»Dann will ich erst recht einen Porsche!«, rief er und Marc schrie vor Freude auf.
Im Studierendensekretariat füllten die beiden alle zur Exmatrikulation notwendigen Unterlagen aus und verließen das Gebäude fast schwebend. Mit den Bescheiden in den Händen gingen sie in Richtung Auto, als plötzlich Marcs Telefon klingelte. Es war seine Mutter.
»Hey Marc, wie geht es dir mein Schatz? Ist alles gut gelaufen?«
Er hatte nur wenig Zeit, um zu überlegen, was er antworten würde, denn schon nach kurzem Zögern witterte Clara, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Wenn es dieses Mal nicht so gut war, dann kümmre dich nicht darum. Dann wiederholst du die Prüfung eben.«
Der beruhigende Klang ihrer Stimme hätte ohne weiteres einen tollwütigen Rottweiler zähmen können. Marc beschloss die Ereignisse der vergangenen Stunden für sich zu behalten.
»Keine Sorge, alles ist okay. So wie immer halt. Ole kommt heute zum Essen. Ist doch in Ordnung, oder?«, fragte er, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.
Marc guckte seinen Kumpel an, den er eigentlich gar nicht erst fragen musste, ob dieser etwas essen wollte, da die Antwort des unersättlichen Riesen sowieso klar war. Er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, nach dem Motto »Zur Feier des Tages ein Essen im Ritz, warum nicht?« und stieg in den Wagen.
In Oles Wohngemeinschaft wurde sehr spartanisch gegessen und gekocht. Die Fertigprodukte aus dem nahegelegenen Aldi waren leider ungefähr so nahrhaft, wie Pappe und die vermeintlichen Delikatessen der Universitätsmensa schmeckten eher fragwürdig. Für einen Gaumenschmaus gab es also nicht viel Platz in seinem Leben, weswegen er sich jedes Mal freute, wenn es etwas Vernünftiges auf dem Tisch gab und das Essen von Marcs Mutter war durchaus als vernünftig zu bezeichnen. Um genau zu sein hatte er niemals besser gegessen. Es fiel ihm nicht schwer zu verstehen, weshalb sein Kumpel
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