Träume(h)r (German Edition)
heutigen Mahlzeit. Als auch Ole zur Tür hereinkam, war sie zwar überrascht, aber keinesfalls verärgert über die Anwesenheit des Riesen.
»Ach, Ole. Du kommst auch mit? Nach Portugal? Schön! Davon hatte Marc mir gar nichts erzählt. Es ist mehr als genug für euch zwei da, also setzt euch doch«, sagte Clara freundlich. Ole nickte brav und nahm Platz. Sogar Marc war aufgefallen, dass heute irgendetwas anders war. Auf dem Tisch standen zwar wie immer Delikatessen mit dem Schwierigkeitsgrad fünf von fünf Kochlöffeln, aber in der Mitte prangte unübersehbar eine riesige Abschiedstorte. Darauf war mit Schokoladensirup Marcs Name geschrieben.
Heute schlang er nicht so wie sonst, sondern genoss sein letztes Festmahl, denn es konnte für sehr lange Zeit die finale Möglichkeit sein auf so hohem Niveau zu speisen.
Auf seiner Etage angekommen bedeuteten die Zeiger von Oles Flik Flak Uhr, dass es langsam an der Zeit war sich um ihre Route zu kümmern.
»Kannst du bitte für uns nach der passenden Route gucken, während ich...«
Ole ließ Marc nicht ausreden.
»Während du dich reisefähig stylst? Dann zeig mir mal, wie ein echter Reisender aussehen soll!«, motivierte er seinen Kumpel, da er wusste, was Marc gerade am meisten beschäftigte.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis der fertige Reisende durch die Wohnzimmertür trat. Marc hatte nur so lange gebraucht, weil er noch die Fischer-Uniformen neben seinem Gepäck verstauen musste.
»Na, was sagst du dazu?«, fragte er Ole mit einer um Lob bettelnden Miene. Sein Kumpel musste sich umdrehen, da er dem Computer zugewandt saß und sah Marc von oben bis unten an. Dieser lehnte lässig am Türrahmen des Wohnzimmers. Er trug eine Pilotenbrille. Durch die dunklen, fast schwarzen Gläser waren seine Augen kaum zu erkennen. Das ausgeblichene T-Shirt war hellgrau und besaß keinen Aufdruck. Es saß lässig, aber betonte trotzdem seinen sportlichen Körperbau und gab einen angenehmen Kontrast zu Marcs natürlicher Bräune. An dem linken, vierfingrigen Arm trug er eine sportliche, zu der Brille passende, schwarze Uhr. Die einstige Farbe der Jeans war nur noch schwer ausfindig zu machen, denn der Stoff sah sehr mitgenommen aus. Man hätte denken können, dass Marc tagelang, mit einem Seil an ein Pferd gebunden über holpriges Land gezogen wurde, um so aussehen zu können. Die Chinesinnen hatten erneut erstklassige Arbeit geleistet. Seine Schuhe waren als einziges Kleidungsstück natürlich gealtert. Die grauen Chucks hatte er schon seit der zwölften Klasse.
»Je älter die sind, umso besser wirken sie«, war damals Oles Devise.
Neben Marc stand ein 1,60m großer Seesack in Olivgrün mit der Aufschrift »US Army«. Als i-Tüpfelchen präsentierte er eine Landkarte und einen antik aussehenden Kompass. Ole suchte als einziges Jurymitglied nach den passenden Worten.
»Gut so! Jetzt siehst du aus wie ein echter Herumtreiber oder Abenteurer. Kannst es dir aussuchen. Das Hollywood-Klischee eines Reisenden hast du auf jeden Fall erfüllt«, sagte er zu Marc, der mit seiner Bewertung zufrieden war und nickte. Daraufhin präsentierte sein Freund ihm jedoch die Schattenseite der Medaille.
»Die Frage ist nur, was du mit einem Stadtplan von Hamburg in Portugal anfängst, wie du in dieser Jeans die aktuellen Temperaturen aushalten willst, weshalb wir einen Kompass brauchen und wie du in diesem Sack jemals etwas wiederfinden willst?«
Selbst mit diesen todbringenden Argumenten schaffte Ole es nicht, Marc in seiner Entschlossenheit zu verunsichern und er blieb so, wie seine Vorstellungen ihn geformt hatten.
Im Anschluss stellte Ole kopfschüttelnd die knapp dreißigstündige Route vor. Sie würden von Münster nach Köln, von Köln nach Paris und von Paris über Madrid nach Lissabon reisen. Von da aus mussten sie dann nur noch irgendwie in den Süden des Landes gelangen, wo sich Salema befand. Aller Voraussicht nach ein Katzensprung bis zu dem Dörfchen an der Algarve-Küste, nahm Marc unbeschwert an.
Der erste Zug auf ihrer Route würde bald abfahren und sie mussten früher als geplant aufbrechen, um den Intercity nach Köln um 16:31 Uhr rechtzeitig zu erreichen.
Diese Information versetzte Marcs Mutter in höchste Alarmbereitschaft, denn solche Überraschung mochte man bei Familie Fröhlich gar nicht. Sie rief sofort ihren Mann auf der Arbeit an, um ihm mitzuteilen, dass die Reise ihres Sohnes früher losgehen würde. Folglich kam Jörg etwas außer Atem schon um fünfzehn Uhr
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