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Träume(h)r (German Edition)

Träume(h)r (German Edition)

Titel: Träume(h)r (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Moos
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Ansonsten teilten sie die gleichen Gesichtszüge und auch ihre Kurven stimmten überein. Würde Chloé Nummer Eins nicht gerade neben Marc stehen und sich mit Ole unterhalten, so hätte er gar nicht bemerkt, dass sie nicht die echte Chloé war. Das Imitat stellte sich als Louanne vor. Es waren Zwillingsschwestern. Manchmal musste Gott es übertreiben, dachte sich Marc.

Der Thalys, so hieß ihr europäischer Hochgeschwindigkeitszug, traf mit sieben Minuten Verspätung ein. Es hatte genügt, um sich eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Reise der Zwillingsschwestern anzuhören. Sie waren auf ihrem Heimweg nach Paris. Zuvor hatten sie innerhalb von einem Monat halb Südostasien durchquert und unzählige Eindrücke gesammelt. Weltmännisch werden im Schnelldurchlauf. Der Zeitgeist der gelangweilten Jugend.
    Im Zug saßen die Schwestern Ole und Marc gegenüber und präsentierten Andenken, die sie aus Ländern wie Thailand, Vietnam und den Philippinen mitgebracht hatten. Es kam ein wenig Trübsal in Marc auf. Irgendwann hatte er aus Mallorca einen Helm mit nach Hause gebracht, worin man links und rechts Bierdosen platzieren konnte, um diese dann über Schläuche mit dem Mund zu verbinden, aber das war nicht das Gleiche.
    Um circa 19:30 Uhr, als sie die Deutsch-Französische Grenze überquerten, riefen Louanne und ihre Schwester Chloé laut das Wort Heimat auf französisch und lachten auf. Die übrigen Leute im Wagon drehten sich nach ihnen um, aber die Vier störte es recht wenig. Nachdem jeder von ihnen drei Bier intus hatte, die Marc viel zu überteuert im Bordrestaurant gekauft hatte, wurden die Gespräche und ihr Gelächter immer lauter.
    Die Zwillinge studierten Psychologie und hatten überaus gute Deutschkenntnisse. Trotz eines starken Akzents, sprachen sie fehlerfrei. Ole war des Französischen mächtig und so wechselte er, je mehr Alkohol floss, umso öfter in die Sprache der Liebe. Sobald er etwas mit seiner tiefen Stimme zu Chloé sagte, verschlangen ihn ihre Augen förmlich.
    Louanne war Marc gegenüber keinesfalls abgeneigt. Ihn verfolgte zwar der Gedanke, dass Frauen einen abgetrennten Finger extrem ekelerregend fanden, weshalb er immer etwas brauchte, um aufzutauen, aber bei Louanne schien ein Finger weniger okay zu sein. Zwei wären dann bestimmt Schmerzgrenze gewesen, nahm Marc an.
    Nachdem Louanne ihm beim Holen der nächsten Ladung Bier geholfen hatte und die beiden kurze Zeit später zu ihrem Abteil zurückkehrten, saßen Chloé und Ole bereits nebeneinander. Das alte Schlitzohr hatte es wieder einmal geschafft.
    Es blieb Marc und Louanne also nichts anders übrig, als sich nebeneinander zu setzen. Nach seinem sechsten Bier und noch ungefähr eine Stunde von Paris entfernt, ergriff er endlich die Hand von Louanne, während Ole schon seit langem mit ihrer Schwester verschwunden war.
    Marc hatte da so eine Vorahnung. Als er das letzte Mal, dank seiner Komfirmandenblase, die Toilette aufsuchen wollte, war diese versperrt gewesen und es polterte darin ziemlich verdächtig. Das musste dann wohl Ole, der ICE sein, der so viel lärm veranstaltete. Es war sein persönlicher Sturm auf die Bastille, wo Marc sich garantiert nicht einmischen wollte.
    Louanne und er unterhielten sich weitere zwanzig Minuten, bis Chloé und Ole, beide mit zerzaustem Haar und verschwitzten Gesichtern, wieder ins Abteil zurückkamen. Erschöpft setzten sie sich, wobei ihm der Riese grinsend zuzwinkerte. Mission completed, dachte Marc.
    Langsam, aber sicher bewegten sie sich auf ihren ersten großen Wegpunkt, Paris, zu. In Frankreich geizte man nicht mit dem Wetter, denn trotz der Klimaanlage im Zug, war die Hitze von außen regelrecht zu spüren. Als sie nur noch zehn Minuten von der Endstation entfernt waren, rüttelte Louanne ihre Schwester wach, die neben Ole eingeschlafen war und redete in rasend schnellem Französisch auf sie ein. Trotz seiner Sprachkenntnisse, signalisierte Ole seinem Freund mit einem »ich versteh nur Bahnhof«-Blick, dass er nicht folgen konnte. Nach fünf Minuten wilden Wortwechsels und beidseitigem Nicken, blickte Louanne zu Marc.
    »Also, was sagst du?«
    »Wozu?«, entgegnete ihr Marc verwirrt.
    »Ich dachte ihr hättet verstanden. Mir kam die Idee, dass ihr vielleicht einige Tage bei uns in Paris bleiben wollt. Wir haben momentan Freiraum und könnten euch die Stadt zeigen. Natürlich nur, wenn ihr wollt«, sagte sie mit einer erwartungsvollen Miene. Marc war auf Anhieb von der Idee begeistert und

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