Träume(h)r (German Edition)
Penner! Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass du es lassen sollst mich zu bemalen!«, rief Ole aus dem Badezimmer, wovon Marc aber nur wenig mitbekam. Er befand sich in diesem Moment auf der Dachterrasse, um sein morgendliches Sportprogramm durchzuziehen.
Ohne Sport ging bei ihm gar nichts. Mindestens drei Mal in der Woche besuchte er das Fitnessstudio, ging Schwimmen, zum Klettern oder betrieb irgendeine andere Sportart, die ihm gerade in den Sinn kam.
Nachdem auch der Rest von Marcs Kreation aus Oles Gesicht gewichen war, frühstückten sie gemütlich auf der Dachterrasse. Am Tisch kam dabei ihre Entscheidung vom Vortag zur Sprache.
»Wie sieht es aus, Turtle? Bist du noch immer dabei?«, fragte Ole ein wenig verkatert, aber gut gelaunt, während er in ein knuspriges Brötchen biss.
»Mein Schwert gehört ihnen, Herr Frodo! Von mir aus kann es heute losgehen.«
»Im Ernst, Marc. Wann wollen wir los und was willst du deinen Eltern überhaupt erzählen? Und hör auf mich Frodo zu nennen!«
Marc grinste und dachte kurz nach.
»Realistisch gesehen können wir erst morgen los, denn wir müssen sicherlich noch einige Besorgungen erledigen«, sagte er bekümmert.
»Glücklicherweise sind wir aber keine Realisten mehr. Wir sind doch eher Surrealisten und deshalb können wir eigentlich schon heute los!«, lächelte Ole. Die unerwartete Aufbruchbereitschaft seines Kumpels gefiel Marc viel besser, als der gestrige Pessimismus.
»Bleibt nur noch die Frage welche Geschichte ich mir für meine Eltern ausdenke.«
Marc hielt kurz inne, wobei er sich in Gedanken am Kinn kratzte.
»Wie wäre es, wenn ich ihnen erzähle, dass ich heute einen Anruf von irgendeinem Lehrstuhl unserer Uni erhalten habe, der mir mitgeteilt hat, dass ein Exkursionteilnehmer kurzfristig erkrankt sei und ich aufgrund meiner herausragenden Leistungen dazu auserwählt wurde, für ihn einzuspringen? Ich könnte dann einfach sagen, dass die Exkursion ungefähr zwei Monate dauert und sich mit dem Management mittelständischer Betriebe in Portugal beschäftigt. Klingt doch spießig und elitär genug für meine Eltern, oder?«
Dem konnte Ole nur zustimmen. Er selbst musste sich für seine Eltern keine Märchen ausdenken, denn einen Vater hatte er nie gehabt und seine Mutter, die in Berlin lebte, besuchte er nur während der Semesterferien.
In den nächsten Stunden fuhr Marc seinen Freund nach Hause, damit dieser Zeit zum Packen hatte und erzählte daraufhin seiner Mutter von dem vermeintlichen Glücksfall, der sich ereignet hatte.
Sie war wie zu erwarten skeptisch gegenüber einer Exkursion in ein Land, das weder an Deutschland grenzte, noch ihren persönlichen Sicherheitsstandards entsprach. Hinzukommend handelte es sich nicht um einen Zeitraum von einer Woche, für den ihr Sohn aus ihrem Blickfeld verschwand, sondern gleich um zwei Monate, die immerhin ein Sechstel eines Jahres ausmachten.
Zuletzt konnte Marc seine Reise aber doch legitimieren. Er erzählte Clara, dass die Studienfahrt sein späteres Leben erheblich beeinflussen könnte, was noch nicht einmal eine Lüge war und ihm große Vorteile gegenüber anderen Absolventen der Universität bei der Jobsuche bringen würde, was wiederum vielleicht doch eine Lüge war. Daraufhin ließ sie locker. Nach diesen Worten würde sogar Jörg seinen Sohn bekräftigen, nach Portugal zu reisen, und ihn samt Koffer persönlich zum Flughafen bringen.
»Ihr fliegt doch dann sicherlich heute Abend«, erkundigte sich Clara bei ihm. Marc hatte jedoch ganz andere Pläne für ihre Reise.
»Wir fliegen gar nicht. Wir fahren mit der Bahn. Um achtzehn Uhr sollen wir am Bahnhof sein und von dort aus geht es in Richtung Lissabon. Sehr kurzfristig, ich weiß.«
Clara kannte die Bahnverbindungen genauso wenig wie Marc, weshalb es in diesem Fall einfach war ihr etwas vorzuschwindeln. Warum sollte sie auch misstrauisch sein? Immerhin handelte es sich um eine mehrköpfige Exkursionsgruppe der Universität und nicht um einen Amateur-Fussballtrupp, mit dem Marc losziehen würde.
In seinem Schlafzimmer hatte er einen gebrauchten, olivfarbenen Seesack der US Army hervorgeholt und begann ihn hauptsächlich mit T-Shirts, Unterwäsche und Jeans zu füllen. Wärmere Kleidungsstücke könnte er sich nach ihrer Ankunft in Portugal kaufen, denn sommerlich würde es dort mit Sicherheit noch eine ganze Weile bleiben. Er suchte noch schnell sein Tagebuch, die Badehose und andere Kleinigkeiten zusammen. Nun konnte das Leben als
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