Träume(h)r (German Edition)
irgendwie, die Erfolge am eigenen Leib bewundern zu können, aber von Jahr zu Jahr wird es schwieriger mitzuhalten. Plätze auf dem Podest erreiche ich nur noch selten. Mein Körper ist mein Kapital, aber ich werde immer älter. Die Konkurrenz hingegen bleibt jung. Schon bald muss ich mir eine neue Tätigkeit suchen, was nicht leicht wird. Einen Arbeitnehmer, der so aussieht, als könnte er einem im Handumdrehen den Kopf abreißen, hat nämlich kein Chef gerne als Angestellten in seinem Unternehmen.«
Marc dachte kurz nach und äußerte intuitiv den für ihn offensichtlichsten Gedanken.
»Wie wäre es denn mit einem Job im Sicherheitsdienst?«
Klaus sah ihn verwundert an und wartete auf nähere Details.
»An deiner Stelle würde ich einfach den ersten Eindruck der Menschen von meinem Äußeren als Vorteil nutzen! Du könntest bestimmt genauso erfolgreich im Personenschutz sein, wie auf der Bühne als Bodybuilder. Da erwarten die Kunden, dass man abschreckend wirkt, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Wenn alle Angst vor einem haben, muss das nicht unbedingt ein Nachteil sein.«
Aus dieser Perspektive hatte er seine Situation bislang noch nicht betrachtet.
»Meint ihr wirklich?«
»Hundertprozentig sicher!«, erwiderte Ole von der Idee seines Kumpels mitgerissen. »Bei dir würde sich keiner trauen Schwierigkeiten zu machen. Dich zu verärgern überlegt man sich garantiert zweimal!«
Klaus nickte und setzte erneut sein warmes Lächeln auf.
»Nur das mit dem Lächeln würde ich lassen. Das sorgt bei so einem harten Typen wie dir nur für Verwirrung.«
Auf Anhieb verschwand der freundliche Gesichtsausdruck und Ole blickte in die scharfe Miene eines knallharten Typen. Zur Bestätigung hob er seinen Daumen.
Am Kölner Hauptbahnhof sprach der Bodybuilder den beiden Reisenden seinen Dank aus und anschließend trennten sich ihre Wege.
Beim Warten auf den nächsten Zug drückte Marc an der Spiegelreflexkamera herum, die er letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt bekommen, aber bisher erst wenige Male genutzt hatte. Währenddessen stand Ole neben ihm und öffnete seine zweite Packung M&Ms. Er fraß seit zwei Stunden ununterbrochen jegliche Art von Süßigkeiten und Snacks in sich hinein, die sie am Bahnhof in Münster gekauft hatten. An Oles Backpacker Rucksack befanden sich glücklicherweise massenhaft gefüllte Taschen, die nur darauf warteten von ihm geplündert zu werden.
Marcs touristisches Auftreten mit einer Kamera um den Hals, einem Stadtplan in der Gesäßtasche und 1,60m großem Seesack vor sich, hatte die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf sich gezogen. Ihre Blicke trafen sich erst, als sie fast unmittelbar vor ihm stand und ihn anlächelte.
Wow, dachte er sich und zog sofort seine Sonnenbrille ab, um die Dame zu inspizieren. Sie hatte lange Beine, die in Jeans-Hotpants endeten und trug ein weißes, geripptes Tanktop, einfache Flipflops und ebenfalls eine Sonnenbrille. Man hätte denken können, sie sei auf dem Weg zum Strand, wenn man sich den Backpacker Rucksack auf ihrem Rücken weggedacht hätte. Ein gerade eintreffender Zug wehte ihr das haselnussbraune Haar ins gebräunte Gesicht. Einige Strähnen davon blieben zwischen ihren Lippen hängen. Mit freundlicher Stimme stellte sie sich erst Marc und dann Ole als Chloé vor.
»Ich hab direkt gesehen, dass ihr ebenfalls auf der Durchreise seid. Wohin geht es denn?« fragte sie mit französischem Akzent und ehe sich Marc eine Antwort überlegen konnte, ergriff Ole das Wort und erzählte Chloé ihre Geschichte.
Ohne verstimmt über seine vertane Gelegenheit zu sein, lauschte Marc gespannt den Worten seines Kumpels. Die Französin schien ihm bereits nach wenigen Minuten verfallen zu sein, denn ihr Blick klebte förmlich an seinen Lippen. Die magischen Worte des Riesen hatten eben ihre ganz spezielle Wirkung auf die weibliche Schöpfung.
Marc faszinierte es, dass auch Chloé über das Erscheinungsbild seines Freundes hinwegsehen konnte, der heute eine kurze Hose und ein lockeres, blaues Unterhemd trug. Das Stirnband um den Kopf erinnerte dabei an einen Hippie, der auf dem Weg zum Woodstock-Festival war.
Als Marc wieder vollkommen auf seine Kamera fokussiert war und den Zweien keine Beachtung mehr schenkte, tauchte vor ihm ein Mädchen auf, das Chloé zum Verwechseln ähnlich sah. Sie unterschieden sich nur darin, dass Chloé Nummer Zwei ein schwarzes Tanktop trug und ihr Rucksack eine andere Farbe hatte, als der des Originals.
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