Traeumer und Suender
weiter durch die Welt und verkünden, dass das alles gefühlstaube Idioten wären im Osten.
Es ist spät geworden, finden Sie nicht? Ich habe das Gefühl, ich hätte Ihnen gar nichts Entscheidendes mitgeteilt.»
Der alte Mann schob den linken Ãrmel hoch und sah auf die Panerai, eine riesige U-Boot-Uhr mit Leuchtziffern. Sie war viel zu schwer für diesen mageren Arm, schien ihn nach unten zu ziehen, auf die Lehne des Rollstuhls, und wenn der nicht gewesen wäre, bis auf den Boden. Die Zeit wog schwer für diesen Mann, schien dieses mechanische Monster zu sagen, aber er trug sie noch, er kämpfte noch gegen sie an. Der Interviewer konnte sich von diesem Kontrast gar nicht lösen, bis der alte Mann den Ãrmel wieder über die Uhr zog.
«Es war nett, mit Ihnen zu plaudern. Wir müssen das irgendwann wiederholen.»
Der Interviewer begriff nun, dass es keine Fragen mehr geben würde. Der alte Mann hatte gesagt, was er hatte sagen wollen. Vieles waren nur Floskeln gewesen. Die üblichen Dinge. Aber manchmal, zumindest bei seinem aktuellen Film, da hatte er sich geöffnet, oder? Das war nicht nur die etwas verfrühte Ankündigung seines nächsten Projekts gewesen. Er würde nicht mit leeren Händen nach München zurückfahren. Aber über
Gleiwitz
hätte er gern noch mehr gehört. Er stellte das Mikrofon aus, überprüfte, ob die Aufnahme auch speicherte, hörte nur noch mit halbem Ohr hin. Ein schales Gefühl von Unzufriedenheit breitete sich in ihm aus â er war nicht zufrieden mit sich, mit dem Alten. Er selbst war zu passiv gewesen. Wieso war jetzt Schluss, aus heiterem Himmel?
«Sind Sie nächste Woche in Cannes?»
War er in Cannes? War das eine Einladung? Er schaute den alten Mann fragend an, der ihm bestätigend zunickte. Cannes. Er würde mit der Redaktion sprechen müssen, wegen der Spesen, aber die wären sicher interessiert; er hatte ja jetzt schon etwas, den
Gleiwitz
-Film, nicht das, was die eigentlich hatten haben wollten, gerade genug für einen ersten kleinen Artikel, sein Teaser sozusagen. Der Interviewer nickte.
«Gut, dann gehen wir etwas essen, mein Assistent wird Ihnen Terminvorschläge machen. Auf Wiedersehen, ja? Alles Gute.»
Es musste nun schnell gehen. Eine Unruhe hatte den alten Mann erfasst, eine unerklärliche Hast. Hätte er gehen können, der Interviewer war sich ganz sicher, wäre er aufgestanden und hätte nervös an seiner korrekt gebügeltenHose gezupft, froh, dass dieser Termin jetzt vorbei war. In aller Eile verstaute der Interviewer die Geräte in seiner Tasche, schulterte diese, stand auf. Er griff nach dem Aschenbecher, wo seine abgelegte, bis auf das letzte Drittel heruntergebrannte Partagas lag.
«Lassen Sie den Aschenbecher ruhig stehen», winkte der alte Mann ab. «Und drücken Sie die Zigarre nicht aus. Ich sehe mir gerne die Glut an. Wenn Sie so alt sind wie ich, werden Sie das verstehen.»
Der alte Mann war wieder in den Lichtkeil gefahren, der nun deutlich geschrumpft war.
«Sehen Sie? DrauÃen wird der Himmel langsam von einer erst rosafarbenen, dann blauroten Dunkelheit durchzogen, und über der blaugrauen Asche kräuselt sich leise die Luft. Ein Wind kommt ins Zimmer, ein sanfter, stiller Gast; man hört die Geräusche des Abends, die Teller der Restaurants, das heitere Lachen der Leute, die sich noch nicht für ein Gericht, eine Flasche Wein, eine Gruppe Freunde entschieden haben, der Vorabend auf der Piazza ist die schönste Zeit des Tages. Selbst wenn ich nicht mehr unter ihnen bin. Das alles steckt in der Asche, verstehen Sie?»
Der Interviewer stellte sich hinter den Rollstuhl.
«Jeder Moment, der noch leuchtet, wird wichtig. Das â¹noch⺠wird wichtig. Das ist auch im Kino so, ganz am Ende des Films, wenn der Abspann gelaufen ist, die Musik verstummt. Dann hören Sie das Getrappel der Leute und für einen Moment, bevor die Putzkolonne kommt, um die Reihen nach leeren Bechern, zerknülltem Eispapier und zertretenem Popcorn zu durchforsten, wird es ganz still.
Die Leinwand ist schwarz. Ich muss dann immer an eine Kerze denken. Eine langsam verlöschende Kerze. Verzeihen Sie einem alten Mann, aber so denke ich.»
Er drehte sich um und sah hoch. Der Interviewer war sich nicht sicher, ob da wirklich ein feuchtes Glänzen in den Augen des Produzenten war.
«Ralph bringt Sie raus, er hat Ihnen eine
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