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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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anderen nicht mitbekamen, er solle sich auffällig unauffällig verhalten, nicht wie ein Mann von der Presse, er habe ja eh keine richtige Akkreditierung, das Festival liefe ja schon, er solle sich also eher wie ein Schreiber aufführen oder sonst so ein Kunstzeug. Ohren auf und durch, vielleicht schnappe er ja was auf, und trinken Sie nicht so viel, hatte der Redakteur ihm nachgerufen.
    Die Zeit in München verging schnell. Er las sich durch die Bücher, erstaunlicherweise gab es gar nicht so viele, die sich wirklich mit dem Überfall und seiner Inszenierung beschäftigten. Augenscheinlich hatte der Produzent hier eine Lücke getroffen. Auch den Film von 1961 sah er sich an – er gab eine Unsumme für eine alte VHS-Kassette bei Amazon Marketplace aus, der Film war vergriffen –, er würde die Rechnung für den Film und die Bücher, noch bevor er abfuhr, bei der Redaktionsassistentin einreichen. Aber das überlegte er sich gleich anders. Alle Spesen zum Schluss, das wirkte, auch wenn es seiner derzeitigen Finanzlage nicht ganz entsprach, souveräner.
Der Fall Gleiwitz
gefiel ihm nicht. Er hatte es sich auf seiner riesigen Monstercouch– ein Modell mit Löwenfüßen – mit einem Glas vom tatsächlich ganz passablen Hauswein des alten Mannes und ein paar Sushis vom Lieferservice bequem gemacht; eigentlich hatte Melanie ihn zum Kauf dieses blauen Sofaungetüms überredet, sie nannte es kuschelig; schon nach den ersten zehn Minuten ließ er die Finger an der Bedienung. Spulte vor, spulte zurück. Stilistisch gewagt waren die 63 Minuten, das schon, und moralisch sicher korrekt. Vor allem in dem Staat und für die Zeit. Aber die Geschichte ließ ihn kalt.
Der Fall Gleiwitz
wirkte auf ihn wie ein Instrument, mit dem man vielleicht die Sehgewohnheiten veränderte, man sah die Genialität von Curik, dem tschechischen Kameramann und den Willen des Regisseurs, Leni Riefenstahl und ihre Filmsprache zu dekonstruieren, der Film als Ganzes blieb aber bloß ein intellektuelles Gerüst.
    Er stellte das restliche Sushi in den Kühlschrank und beschloss, sich lieber auf den formaleren Stahlrohrsessel zu setzen, den er sich vor einigen Wochen auf dem Flohmarkt besorgt hatte. Vielleicht erforderte der Film einfach eine andere Konzentration, eine bestimmte Haltung. Aber irgendetwas gefiel ihm nicht an der Inszenierung. Er hatte viele der Szenen, auch die Biografie des Polen und seines Gegenspielers, des Supernaziagenten, aus den Erzählungen des Produzenten noch ganz lebendig im Kopf. Dessen Stimme hatte sich als viel stärker erwiesen als die – zugegeben – avantgardistische Schwarz-Weiß-Kunst des DEFAFilms. Er musste gestehen, er war nun wirklich verdammt neugierig geworden auf den Film des alten Mannes. Er beschloss, ihn anzurufen. Er bekam ihn sogar selbst ans Telefon, kurz zwar, aber als er sich für die freundliche Einladung in dessen Haus bedankt und sich nach seinem Befinden erkundigt hatte und sie das Geplänkel über «gemeinsame Liebe zum Film», «da habe er ihn ja ganz schön ins Schwitzen gebracht» und dem neckischen «was könne erihm denn überhaupt noch erzählen, er müsse sich das wohl sehr genau überlegen, bevor sie sich wiedersähen» hinter sich gebracht hatten, blieb ihm wirklich noch Zeit, ein Kompliment für die intensive Begegnung auszusprechen und sich auf das nächste Zusammentreffen zu freuen. Er klang sogar für sich selbst überzeugend professionell. Und der alte Mann wirkte sowohl überrascht als auch dankbar. Zufrieden legte er den Hörer auf und machte sich an das restliche Sushi. Alles in allem fühlte er sich so gut wie lange nicht mehr. Die Dinge bewegten sich, endlich. Er war im Spiel.
    In Cannes hatte eine Limousine am Flughafen auf ihn gewartet, zwar nur ein Citroën, aber er war ja auch Interviewer, kein Filmstar. Die Stadt feierte Körper. Von der Leinwand herabgestiegene Körper. Selbst auf dem Flug von München hatte er neben einigen deutschen und internationalen Kinogrößen gesessen, die aufgeregt miteinander tuschelten. Die Stimmung in der kleinen Turboprop-Maschine hatte etwas von einer Klassenfahrt, allerdings einer, bei der großzügig Alkohol ausgeschenkt wurde. Den Gratisdrinks wurde eifrig zugesprochen, man stand im engen Gang, berührte sich schüchtern am Arm, stellte sich gegenseitig noch nicht bekannte Freunde vor, und kein

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