Traeumer und Suender
vorzügliche Flasche Wein eingepackt und eine Kiste mit den Zigarren. Nein, danken Sie mir nicht. Es war eine groÃe Freude, Sie bei mir zu haben. Und denken Sie dran: Wir alle werden irgendwann ausgehen wie Kerzen.»
II.
Es war schwierig gewesen, die Redaktion zu überzeugen, schwieriger als gedacht. Der Chefredakteur hatte sich geziert, geschimpft, ihm leicht ironisch seine Verfehlungen aufgetischt, nachdem er das Band angehört hatte â das war seine Bedingung gewesen, es überhaupt zu erwägen â, er, der Interviewer, habe versagt. Er habe nicht nachgefragt, Erlenberg zu wenig unterbrochen, diese Taktik sei bei gewöhnlichen Menschen ja anwendbar, Stille zuzulassen, Schweigen oder das wasserfallartige Gelaber. Aber all das müsse man formen, um zum Ziel zu gelangen, und das habe er, leider, versäumt. Der Interviewer hatte keinen Ton gesagt, nicht einmal gezuckt, als der stellvertretende Chefredakteur hinzufügte, mit einer väterlich vorwurfsvollen Intonation in der Stimme, er sei doch ein erfahrener Mann. Sie hatten sich nicht vorstellen können, wie es gewesen war, wie schwierig, mit diesem Mann, der die Autorität eines Lazarus zu besitzen schien, ein Mann mit der Stimme eines Auferstandenen, der den Tod schon hinter sich gelassen hat. Natürlich war er sich seiner «Verfehlungen» bewusst. Natürlich hatte er den alten Mann reden lassen, was war ihm auch anderes übrig geblieben?
Sie sollten doch froh sein, dass er ein Exklusiv beim Produzenten, der sonst nichts sagte, überhaupt hinbekommen hatte. Ãber seine Kontakte, mit Beharrlichkeit, durch das Glück des Augenblicks.
«Er hat sie benutzt», hatte der Chefredakteur gesagt.
«Er wird sie weiter benutzen wollen», fügte der Stellvertreter hinzu. «Um seinen Film zu promoten.» Sollte er doch, wenn er dafür all das aus dem alten Mann rauskitzeln konnte, was niemand wusste und was viele Leute brennend gern erfahren wollten.
SchlieÃlich hatten sie zugestimmt. Der Artikel über den
Gleiwitz
-Film, mit Auszügen aus dem Interview, sollte nach der Preisverleihung in Cannes in Druck gegeben werden, mit der Hoffnung, dass beim Interview in der Palmenstadt mehr aus dem alten Mann herauszubekommen war, vor allem natürlich Details über die Auseinandersetzung mit Tarantino, aber auch die Sache
Gleiwitz
erschien der Redaktion jetzt vielversprechend.
Sie hatten vergeblich versucht, Fotomaterial zu bekommen, die Sekretärin des Produzenten war eisenhart. Castingbilder könne sie anbieten, von der Kidman und vom neuen Heath Ledger. «Wir sind doch kein Pressebüro», hatte der Chefredakteur gewütet. Aber die Dame war starr auf Kurs geblieben, noch werde ja nicht gedreht, es sei sowieso schon ein Hyperexklusiv, und sie müssten sich noch ein wenig gedulden, vielleicht bekämen sie ja eine Set-Erlaubnis, der junge Herr, den sie verbeigeschickt hätten, sei so was von eingeschlagen, er wäre ja geradezu vernarrt in ihn gewesen, ihr Chef, dass es sie nicht wundern würde, wenn hier einmal eine Ausnahme gemacht werden könnte, und die Berichterstattung, wie gesagt hyperexklusiv, von einer einzigen auÃenstehenden Person, ihm, dem Interviewer, gemacht werden könne. Hm, hatte der Interviewer gedacht, misstrauisch. Glaubte er ihm das? Aber umgekehrt â auch ihm war der alte Mann sympathisch gewesen. Und warum sollte ein mächtiger Mann keine Gefühle haben? Schon am nächsten Tag erhielt er einen Anruf von der Redaktionsassistentin. Seine Auftraggeber stimmten zu. Reisespesen für Cannes und eventuell weitere Fahrten waren auf einmalkein Problem mehr. Ein Dreh mit Ridley und das vermutlich letzte groÃe Projekt dieses alten Produzenten, noch dazu mit diesem, nun, schwierigen, reizvollen Thema, das sollte sich doch lohnen, signalisierte ihm der stellvertretende Chefredakteur. Der Interviewer hatte das Gefühl gehabt, durch den Hörer hindurch ein kaltes Grinsen wahrzunehmen und ein spöttisches Augenzwinkern. Die nächsten Tage deckte er sich mit Material zum Gleiwitz-Ãberfall und mit zwei leichten, aber eleganten Sommeranzügen ein, für Cannes, das hatte ihm der Stellvertretende eingeschärft, brauchte man nicht nur Charme und Verstand, auch Eleganz war ein Mittel, und er sollte sich, wenn es ginge, an den alten Mann dranhängen, für die Partys und Treffen, die es sonst allgemein nicht zu sehen gab, den Klatsch, den die
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