Traeumer und Suender
gewirkt, sondern entschlossen. Velder hatte ihr vorgeschlagen, die dunklen StraÃen der Altstadt zu verlassen und in ein Café ans Meer zu gehen. Er liebte das Meer. Der Satz war ihm rausgerutscht. Er hatte ihn noch nie gesagt oder gehört, ohne zu denken, wie peinlich das doch sei, etwas so Unfassbares und Undefinierbares zu lieben wie eine groÃe Menge Wasser, aber sie hatte ihn angesehen und nicht gelacht und auch nichts gesagt, was er als bloÃen Flirt oder bloÃes Füllen einer Lücke in ihrem Gespräch hätte auffassen können. Sie hatte genickt und dann, ganz kurz, hatte sie seine Hand genommen und ihn in Richtung der Croisette gezogen.
Das ist eine Frau, die keine Angst hat, dachte er. Zumindest nicht vor sich selbst oder vor ihrem Körper. Als er ihren Kopf in die Hand nahm, lieà sie es geschehen. Ihr Haar duftete nach der Brise, die Cannes vom Meer her eingenommen hatte, einmal durch das Massiv des Küstengebirges gefegt und wieder heruntergeweht war, reicher an neuen Gerüchen, von Honig und Thymian, dem Duft der Kastanienbäume, der fast vertrauten, weichen Oberfläche der Korkeichen. Sie schien, wie er, ein Fremdkörper in dieser Stadt zu sein, die gerade Körper feierte. Sie küssten sich.
Der ganze Abend löste sich danach auf. Die Sonne ging unter. Menschen lachten und tranken, Kellner würdigten sie eines zweiten Blickes, sie aÃen fantastische Fischsuppe in einem kleinen Lokal, schlenderten durch die Nacht. Lichter und Gesichter vermischten sich in einer endlosen Schleife aus sanfter, ein anderes Mal heftiger Berührung. Wer hier prominent war, wer nur Zuschauer, war plötzlich egal. Velder war glücklich. Ihre Haut schien ihm mit der Seide ihres Kleides verwachsen zu sein, sie zog ihn an,nichts auf der Welt war ihm jemals so begehrenswert erschienen. Als sie die Tür zu ihrem Zimmer aufsperrten, ein wenig betrunken, und sich das Zimmer mit dem imaginär zwischen ihnen aufgespannten Laken im Mondlicht öffnete, schien mehr als nur ein Abend vergangen zu sein. Mit diesem Zimmer hat es angefangen, dachte er. Irgendwie. Wie Liebe halt anfängt. Und dieser Gedanke beunruhigte ihn zum ersten Mal in seinem Leben nicht, er küsste ihren Nacken, sie lieà es geschehen. Das Licht pulsierte in einer wachsenden Sehnsucht, die an diesem Abend nicht nur für sie beide gemacht zu sein schien. Die Gardinen wehten ins Zimmer. Er löste sich von ihr, warf noch einen Blick auf die Stadt. Dann schloss er die Fenster.
Am nächsten Morgen fühlte er sich wie ein Gott, sah aus wie eine Leiche, und Heloisa war nicht mehr da. Obwohl es erst viertel nach acht war. Einen Moment war er gekränkt, nein, es war wie ein warmer Stich im Magen. Aber sie hatte gesagt, sie müsse früh raus, zum Filmmarkt, sie wollte ihren Film pitchen. Es hatte sich gut angehört, ein melancholisches Stück Abenteuer über einen Mann, der aus der Ãlbranche aussteigt, Goldsucher am Amazonas wird und nebenbei die ganze Zerstörung des Urwaldes mitbekommt, die Prostitution der Indios in den Wäldern, ein Trip in den Tod, aus dem er sich aber mithilfe einer Frau, die er kennenlernt, wieder befreit. Als Velder ins Bad ging, grinste er. Heloisa hatte ihre Telefonnummer und ihre E-Mail-Adresse auf den groÃen, blinden Art-déco-Spiegel gemalt. Mit einem Lippenstiftkuss und der Frage
tonight
? Er hatte ihr nicht gesagt, dass er heute schon wieder abflog. Er würde nachher die Redaktion anrufen und um Verlängerung bitten, die Party gestern hatte er ja verpasst; seltsam, er hatte nicht eine Sekunde lang an die lose verabredete Veranstaltung gedacht, zu dem ihm das Produktionsbüro Erlenbergsextra noch Einlasskarten besorgt hatte. Nachdem er geduscht, sich rasiert und die Zähne geputzt hatte, gab er den Anzug, in dem er geflogen war und die Nacht durchgemacht hatte, in die Schnellreinigung, zog den zweiten an, Gott sei Dank hatte er sich zwei gekauft, nahm ein Taxi zur Croisette und setze sich in ein Promenadencafé. Er schaltete sein Handy an und wählte die Nummer des
Mercure
. Er bekam den alten Mann nicht ans Telefon. Dann ploppte ein Schwarm von Kurznachrichten auf seinem Display auf. Vier, fünf, nein sechs Nachrichten von seiner Exfreundin, deren letzte, um drei Uhr nachts, lediglich aus drei irritierenden Fragezeichen bestand. Die Mailbox verzeichnete sechs Anrufe, fünf von Melanie, der letzte begann mit «Wo bist du?», die er
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