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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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alle übersprang. Dann überlegte er es sich anders und schickte ihr eine SMS: «In Cannes.»
    Den Termin um zehn hatte der Produzent über sein Münchner Büro abgesagt: Verschoben, so hatte die Dame vom Produktionsbüro sich ausgedrückt, nicht Erlenbergs reguläre Sekretärin, die sei in Cannes, wie er ja nun auch. Verschoben wohin, hatte er bei seinem Rückruf gefragt, sie meinen, auf wann, hatte sie ihn schnippisch korrigiert und hinzugefügt, dass sie eben gerade das nicht wisse, aber jemand, nicht sie, würde sich sicher melden und es ihm mitteilen. Währenddessen hatte ihn die Redaktionsassistentin angerufen und ihm hektisch auf Band mitgeteilt, er müsse unbedingt gleich morgen in der Redaktion sein, und der Chef habe gesagt, er solle nicht ohne etwas über von Trier zurückkommen. Das habe jetzt Priorität. Einen weiteren Abend mit Heloisa konnte er also vergessen.
    Um halb zwölf klingelte sein Handy. Die Sekretärin. Er könne am Nachmittag kommen, so gegen zwei? Ins
Mercure
. Es sei leider etwas passiert, gestern bei der offiziellen Pressekonferenz, wie, er habe noch nichts gehört, Lars von Trier, ach so, ja, er hätte das in der Zeitung … unglücklich,wirklich sehr unglücklich, und der Produzent wäre angegriffen deswegen, er möge das mit einkalkulieren bei ihrem Gespräch, nicht zu lang, und er solle doch Rücksicht nehmen.
    Als er um kurz vor zwei an die Rezeption des
Mercure
trat und sich mit der Suite des Produzenten verbinden ließ, teilte ihm Ralph, der ihn scheinbar sofort einzuordnen wusste, mit, dass er sich noch eine halbe Stunde gedulden solle, er könne sich ja noch in der Lobby einen Kaffee bestellen und ein Hörnchen oder vielleicht etwas Stärkeres? Es missfiel dem Interviewer, dass er aus der Stimme des blonden Riesen so etwas wie ein süffisantes Lächeln herauszuhören vermeinte. Auch dass er noch anfügte, er solle doch sagen, es ginge aufs Zimmer, die Nummer wüsste er ja, verbesserte seine Laune nicht. Er setzte sich in ein Lederfauteuil, bestellte aber nichts, bat nur höflich um eine Zeitung und ein Aspirin. Watte für diesen Tag.
    Eine halbe Stunde später stand er vor der Tür des Produzenten. Die Sekretärin ließ ihn herein, nickte, machte eine Geste, er möge ins Wohnzimmer treten, sagte aber nichts zur Begrüßung, telefonierte weiter, in einer Sprache, die der Interviewer für Russisch hielt oder Polnisch.
    Er setzte sich an den niedrigen, polierten Tisch aus hellem Birnenholz, über dessen Maserung er kurz bewundernd mit der Hand strich. Dann baute er sein Equipment auf. Der alte Mann kam aus seinem Schlafzimmer gerollt; gleichzeitig mit einem Kellner, der Teegeschirr auf einem Silbertablett balancierte. Er hätte Ähnlichkeit mit Michel Piccoli haben können, Ähnlichkeit mit dem jungen Piccoli, wenn da nicht die extrem blauen Augen gewesen wären. Der Produzent schien bester Laune zu sein, jedenfalls rollte er sich kräftig bis zum Birnenholztisch, dann weiter auf den Interviewer zu und streckte den Arm vor, als ginge es um einePartie Ringreiten und nicht um Begrüßung. Er saß in dem gleichen alten Rollstuhl aus Holz, den er schon aus Sperlonga kannte, sie mussten ihn als Sondergepäck versandt haben. Oder hatte der Produzent ein Privatflugzeug? Dem Interviewer wurde klar, wie wenig er, wie wenig sie alle über diesen Mann wussten, der doch an so vielen Rädchen drehte; das Dossier über ihn war dünn gewesen, die Recherche hatte ihm noch mal alle Dokumente zusammengestellt, die die Archive über ihn hergaben. Es war nicht viel. Geburtsort, Ausreise aus der DDR, die Akten über seinen Vater waren alle verschwunden, sehr merkwürdig, erste Adresse im Auffanglager Friedland, dann Schulzeugnisse, weiterführende Studien an der Kunsthochschule in Kassel, rätselhafter Abbruch, Ausreise in die USA – und da tauchte er dann so richtig erst wieder mit seinen Kampagnen und später, nach der Gründung seiner Firma, in versprengten Fachmagazinen auf. Sie begrüßten sich, noch während der alte Mann seine Hand durchschüttelte, als ginge es um einen Cocktail, fing er an zu sprechen, und sofort merkte der Interviewer, dass er sich getäuscht hatte. Und zwar vollkommen. Der alte Mann hatte sehr schlechte Laune.
    Â«Riechen Sie das? Hier tragen sogar die Bediensteten Gaultier. Mein Gott, was für ein Kampf das ist, in

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