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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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gewesen. Als hätte sich in einem völlig verkorksten Drehbuch der Skriptdoktor am Ende erschöpft und nicht ohne hilflose Ironie, gewissermaßen mit einem Schulterzucken, für eine
Deus-ex Machina
-Lösung entschieden, die Pforten geöffnet, den Schöpfer die Hand mit dem Rettungsfinger ausstrecken lassen.
    Â«Ach, Venedig! Wo sind Sie denn untergebracht?»
    Â«Ich habe Freunde hier. Oder, es sind eigentlich die Freunde von Freunden.» Das war eine Lüge, es war der ehemalige Freund von Melanie, ein waschechter Venezianer, bei dem er wohnte. Er hatte sie extra deswegen angerufen. Sie hatte sich – nach so langer Zeit, wie sie in ihrer gewohnt melodramatischen Art sagte – gefreut, ihn zu treffen. Er hatte ihr von der schweren Zeit erzählt, die er gehabt hatte, als man ihm den großen Auftrag kündigte und ihm vonseiten des Hausjuristen sogar drohte, dass er Teile der Spesen ersetzen müsste, wenn er nichts zustande brachte, jetzt, sofort, was sie drucken konnten. Sie hatten ihn richtig zusammengestaucht in der Redaktion. Die ganze Mannschaft. «Blutiger Anfänger!», hatte der stellvertretende Chefredakteur ihn beschimpft. «Reine Zeitverschwendung!» Am schlimmsten war der Augenblick gewesen, als der Chefredakteur den Kopf sanft schüttelte und dann sagte, er – persönlich – habe sich so viel von ihm erhofft.
    Größere Aufträge könne er in Zukunft vergessen, das hieß Kärrnerarbeit. Berichte von Festivals, Filmbesprechungen, knappen Hintergrund, ein paar Interviews mit HBO-Seriensternchen, aber nichts Prominentes, nichts Grundsätzlichesmehr. Melanie hatte in dieser Nacht noch nicht wieder mit ihm geschlafen. Das kam erst später. Auch darüber war er froh gewesen. Er brauchte einen Halt, sagte er sich, zumindest, um sich so weit wieder hochzuziehen, dass er neu planen konnte. Heloisa schrieb ihm weiter Mails.
    Â«Bei Freunden? Das ist fein. In wirklichen Wohnungen lernt man das Gefüge einer solchen Inselexistenz doch noch einmal ganz anders kennen. Ich hoffe, Ihre Bettdecke war nicht zu klamm? Das Wasser kriecht einem ja bis in den Schlaf hinterher.»
    Der Interviewer lehnte sich in dem bequemen Lehnstuhl zurück. Selbst in den Armpolstern steckte Meeresgeruch. Die vier Monate Fron waren ohne weiteren großen Kontakt mit der Redaktion abgelaufen. Er hatte geliefert, sie hatten gedruckt. Er hatte dann doch noch ein paar kleinere Beiträge aus dem Material mit dem Produzenten fürs Radio geschnitten, und das Magazin brachte auch – widerwillig – eine gekürzte Fassung, knappe vier Seiten, mit Bildern von der Agentur, zu dem geplanten
Gleiwitz
-Film und dem, was der Produzent da wohl vorhatte. Mehr kam aber nicht. Er hatte sich auch nicht mehr getraut, bei dem Produzenten oder auch nur bei seiner Sekretärin in München anzurufen, um ihm die Sachlage zu erklären. Die Von-Trier-Sache, mit der er in der Redaktion hilflos herumgewedelt hatte, als man ihn wegen seines fehlenden Muts angriff, wurde sofort mit einem Lachen ad acta gelegt. «Ist es der Mut oder fehlt Ihnen da etwas anderes?», hatte der Stellvertreter hämisch gefragt. «Wir schicken Sie jedenfalls nicht noch einmal zu wichtigen Leuten.»
    Die Idee hatten sie aber aufgegriffen. Nur reüssierte damit ein anderer.
    Er hatte versucht, das bei einem anderen Verlagshaus, zudem er Kontakte hatte, ins Feld zu führen, aber sein Bekannter dort wiegelte ab. «Neid verdient man sich. Mitleid bekommst du umsonst.»
    Die weisen Sprüche des Mittelstands. Es gab auch Neid aus Notwehr.
    Der Interviewer versuchte sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er war ja jetzt hier, in Venedig, beim Produzenten. Er hatte die unwahrscheinliche zweite – oder war es nicht sogar schon die dritte? – Chance. Er nahm sich vor, sie zu nutzen.
    Â«Ich wünschte mir, ich hätte hier ein Haus gekauft, als es noch billiger war. Obwohl, wirklich günstig war Venedig nie, ich erinnere mich, in den Neunzigern kostete der Quadratmeter schon fünf Millionen – Lire, versteht sich. Höchstens nach Torcello hätte man rausziehen können, oder vielleicht in eine Seitenstraße irgendwo oberhalb des Gettos. Wissen Sie, in den Siebzigern, als ich das erste Mal auf das Festival bin, da wären nur wenige Ausländer auf den Gedanken gekommen, hierher zu ziehen, da hätten sie vielleicht noch ein Schnäppchen machen

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